: Heimatwein wird moderner Lifestyle
Zwar ist Riesling ein Klassiker, doch eine junge Generation interpretiert ihn auf neue Art: Getrunken wird, was gefällt
Zum Riesling führen viele Wege. Einer davon soll von Deutschland über Amerika zurück nach Deutschland reichen. Klingt ziemlich abwegig, aber so sagt man. Zwar sind deutsche Rieslinge in den Spitzenrestaurants der amerikanischen West- und Ostküste wie auch in den Top-Charts der wichtigsten Weinzeitschriften schon lange vertreten. Doch handelt es sich hierbei zumeist nicht um trockene, sondern um fruchtsüße Weine. Also jene leichtfüßigen Rieslinge, die in Deutschland aufgrund ihres Anteils an unvergorenem Traubenzucker praktisch unverkäuflich sind. Der US-Boom wird daran nichts ändern können. Eher schon eine junge, von Vorurteilen weitgehend freie Generation, die alles trinkt, was gefällt, und dabei den eignen Geschmack anstatt den von Weinpäpsten zugrunde legt.
So lässt sich sich die wachsende Beliebtheit des deutschen Rieslings in all seinen Facetten und Spielarten denn auch zuallererst mit der rasant gestiegenen Qualität der Weine selbst begründen. Hierzulande ist eine junge Winzergeneration am Werk, die richtig Gas gibt. Die auf Primärfruchtschreier und standardisierte Kellertricks pfeift und die Individualität des Weinbergs in den Vordergrund rückt. Der Riesling-Boom ist zwingend mit jungen Winzerinnen und Winzern verknüpft wie Eva Clüsserath, Tim Fröhlich, Roman Niewodniczanski, Markus Schneider, Daniel Wagner, Nik Weis, Philipp Wittmann, Dirk Würtz und vielen anderen. Sie sind die enthusiastischen Erben einer sich in den späten 80er-Jahren formierenden Avantgarde. Sie sind die „Generation Riesling“.
Natürlich kommt ihr gelegen, dass die trinkende Welt der fetten, alkoholschweren Weine langsam überdrüssig zu werden scheint und „anstatt Parkerpunkte zu sammeln lieber das Trinkvergnügen sucht“ (Roman Niewodniczanski). Doch Riesling, der so leichtfüßig und animierend daherkommen kann und so vielseitig einsetzbar ist wie kein anderer Wein auf dem Planeten Wein, ist über Trends erhaben. Der Generation der 20- bis 35-Jährigen ist diese Sorte persönliche Befriedigung, kulturhistorische Verpflichtung und Zukunftssicherung zugleich.
Zwei Drittel der Riesling-Reben der Welt stehen in Deutschland. Das hat seinen Grund, sagt Kellermeister Dirk Würtz: „Riesling können wir in Deutschland am besten. Hier bringt er eine Stilistik hervor, die nirgends auf der Welt kopiert werden kann.“ Tatsächlich spiegelt der Riesling wie keine andere Rebsorte seine Herkunft im Wein wieder. Herkunft: das ist nicht nur ein Anbaugebiet oder ein Ort; sie lässt sich bis auf die kleinste Parzelle einer Weinbergslage definieren. Nicht nur auf dem Katasteramt, sondern gerade auch im Wein. Vorausgesetzt, man betreibt eine intensive, personalaufwändige Weinbergsarbeit und verzichtet im Keller auf standardisierte Tricks.
So arbeitet die neue Winzergeneration in ihren Weinen den unverwechselbaren Charakter ihrer Lagen heraus. Für einen kompromisslosen Enthusiasten wie Roman Niewodniczanski (35) vom Weingut Van Volxem in Wiltingen an der Saar ist die Lagenprägung seiner Rieslinge mehr als eine marktwirtschaftliche Notwendigkeit. Sie hat für ihn vor allem etwas mit der „Wiederbelebung einer einzigartigen Kulturlandschaft“ zu tun, die vor 100 Jahren mit die kostbarsten Weine der Welt hervorgebracht hat. „Unser kühles Klima und die skelettreichen Schieferböden unserer Steillagen sind für große Rieslinge absolut ideal.“
Ein handwerklich gut gemachter Riesling ist ein Unikat, ein Charakterstück – ein „Heimatwein“, wie Würtz es nennt.
Der Heimatwein gilt ihm und seinen Kollegen als „Gegenmodell zu den industrialisierten Frankenstein-Weinen, diesen Primärfruchtbomben und UTA-Monstern“. UTA? Untypischer Alterungston, er befällt vor allem Weine, die in der Jugend wie ein Fruchtkompott riechen, entsprechend schmecken, aber nach spätestens zwei Jahren in die Knie gehen und alles eingebüßt haben, was einen Wein genießbar macht.
Der Reflex gegen das manipulierte Produkt verdeutlicht, dass die Generation Riesling mit ihrem Herkunfts- und Handwerksethos eine zeitgemäße Gegenbewegung zu den austauschbaren, identitätslosen Weinen eines globalisierten Marktes darstellt. Damit trifft sie auf die Wünsche einer größer werdenden Klientel, die sich wieder mehr für die Herkunft, den Ursprung sowie die Herstellungsart und den Hersteller selbst interessiert. So gesehen, ist die aufbegehrende Jugend der Globalisierung auch legitimer Nachfahre der selbstgenügsamen Toskana-Fraktion.
Die Generation Riesling beschränkt sich aber nicht auf die Produzenten. Dass sich eine junge Truppe von Sommeliers und Weinhändlern „WeinFUNatiker“ nennt, um unter diesem Namen Glasserien zu entwickeln und eigene Weine (bislang: Riesling) zu erzeugen, verdeutlicht, wie sie Leidenschaft und Enthusiasmus mit Verantwortung und Spaß, nicht aber mit eiferndem Fanatismus verknüpft. Ihr Vergnügen am Wein, allen voran am Riesling, wissen sie ohne den Gestus des besserwisserischen Zampanos auf ihre Kunden und Gäste zu übertragen. Leute wie Roy Metzdorf (Weinstein, Berlin), René Baumgart (Süllberg, Hamburg), Robert Innerhofer (Landersdorfer & Innerhofer, München) oder Birgitta Quendler (Fährhaus, Sylt), um nur einige wenige zu nennen, haben ältere Konsumenten zum Riesling zurück- und jüngere herangeführt. Der neuen Generation ist Weingenuss eine recht unkomplizierte Angelegenheit und weit davon entfernt, Ersatzreligion zu sein. Wein, das ist ihr von Snobismus befreiter Lebensstil – der ohne Riesling nicht mehr auskommt. STEPHAN REINHARDT