Der Gefühlskreuzer

Das Leben ein Kapitänsdinner: Das „Traumschiff“ lässt zum 50. Mal die Emotionsleinen los. Das ZDF stiftet dafür sein Sonntagsprogramm

VON JÖRG SUNDERMEIER

Das „Traumschiff“ sticht zum 50. Mal in See, tief hinein in das Weltmeer der Gefühle, welches allerdings stets ein deutsches Binnenmeer ist. Auf der „MS Deutschland“, wie das Schiff der Träume kanzlergerecht heißt, geht es auch diesmal hoch her – der wackere Kapitän Paulsen begegnet unerwartet seiner Jugendliebe Angela wieder, Schiffsarzt Dr. Schröder und Chefstewardess Beatrice müssen eine Beziehung von Patensohn beziehungsweise Nichte erleben, eine Liebesbeziehung? – eine „Dummheit“, wie Beatrice behauptet, die mit allen Mittel versucht, das Lebensglück der Anverwandten zu regeln. Und so von einem Abenteuer ins andere fällt, der arme Schiffsarzt immer hinterdrein. Währendessen …

Das „Traumschiff“ zeigt die Welt, wie sie wohl ist, wenn sie nichts mit dem zu tun hat, was der vernunftbegabte Mensch Wirklichkeit heißt. Unter dem derzeitigen Kapitän Siegfried Rauch geht es nach British Columbia und Kanada, die „MS Deutschland“ bleibt das ehern gute, ruhige, hochmoderne Schiff, selbst die Sonne liebt das Boot, seine Crew, seine Gäste. Mit dieser Illusion hat das „Traumschiff“ bis heute Erfolg, es ist eine urdeutsche Fernsehproduktion, das restlos schöne Pendant zur zwar nicht minder gefühligen, doch immer auch etwas vom Hässlichen angerührten „Lindenstraße“, beide sind nationale Ereignisse. Daher steht das gesamte Sonntagsprogramm des ZDF im Zeichen des Gefühlskreuzers, nachmittags wird die erste Folge wiederholt, das Magazin „reiselust“ widmet sich ganz der Traumschifferei, und nach der 50. Folge präsentiert Alfred Biolek dann eine „Traumschiff-Gala“, bei neben Klausjürgen Wussow oder James Last auch der untotbare Johannes Heesters auftreten werden.

Seit nunmehr 24 Jahren reist das „Traumschiff“ durchs ZDF-Programm, und es hat sich völlig vom US-Vorbild „Love Boat“ emanzipiert, ist einfach weniger schrill, weniger plastikhaft, daher sind allerdings auch Überraschungsgäste vom Format eines Andy Warhol völlig undenkbar. Das Traumschiff legt da, wo die Amerikaner unerfüllbare Träume bebildern, ein anderes Maß an. Für das deutsche Publikum muss der Traum „lebbar“ sein, das Setting „authentisch“, nicht, weil das von den holzschnittartigen Dialogen ablenkte, sondern im Gegenteil: um die Wirklichkeit auf das „romantische Kurzstory“-Format zurückzustutzen, sie mit Moralismus und Bigotterie zu maßregeln, bis sie sich schließlich der Fiktion vom wahren, besseren, gutdeutschen Leben anpasst. Deutsche Idealisten wollten stets das Bild selbst beherrschen, sie wollten es nie durch ein anderes verdrängen.

Wagen wir die These: Das Traumschiff ist eine Kirche ohne Gott. Daher werden alle Gäste restlos geheilt, wird jedes Problem nur aufgenommen, um gelöst zu werden. Selbst Krankheit und Tod haben keine andere Funktion als zu erweisen, dass das Leben lebenswert ist, jetzt, hier, auf der „MS Deutschland“, vereint bei Kapitänsdinner und Tanz, Generation neben Generation, friedlich in aller Welt. Diese Welt allerdings ist nur dafür da, dem Schiff und seiner Mission zu dienen. Die Mission ist die Herstellung von Gemeinschaft. Nicht mit dem Boy auf den Seychellen, nicht mit der Barkraft in Dubai, sondern mit uns, den Deutschen, vorm Bildschirm.

Auf dem Traumschiff sehen wir idealerweise verkörpert, was wir nicht erreichen können. Uns ist die Umwelt kein Weltmeer, die Arbeit kein Abenteuer. Das Traumschiff aber sagt uns, dass es an uns ist, genauso dies zu tun, und dafür zu leben, dies zu erreichen – ein Leben in Braus, mit Spaß und kleinen Konflikten, die uns erhöhen. Das Traumschiff zwingt uns seinen Traum auf.