Vergeblicher Bienenfleiß

Wenn es nirgendwo Arbeit gibt, hilft die Kunst nur bedingt: Mit seinem Stück „3 von 5 Millionen“ folgt Regisseur Armin Petras der Spur der Arbeitslosen. In drei verschiedene Kapitel gegliedert, zerfällt seine Inszenierung am Deutschen Theater in Berlin allerdings in zwei äußerst ungleich gelungene Teile

In der Gegenwart hat der freischaffende Künstler die Figur des Arbeiters abgelöst

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Bienen sind fleißig. Unermüdlich tragen sie Blütenstaub heim und verwandeln ihn in Honig. Ob deshalb der Schauspieler Milan Peschel in einem Bienenkostüm auf der Bühne des Deutschen Theaters in Berlin steckt, während er als Francis Bacon, der Maler redet?

Geschrieben hat die Rolle Fritz Kater in seinem Stück „3 von 5 Millionen“, als Regisseur inszeniert hat es nun Arnim Petras. Auch wenn Letzterer nur ungern zugibt, dass er selbst als Fritz Kater in die Rolle des Schriftstellers geschlüpft ist und dafür schon mit dem Mülheimer Dramatikerpreis ausgezeichnet wurde, so bilden beide zusammen doch garantiert ein fleißiges Team. Der eine weidet die Realität ab und trägt soziale Sorgen als Material in seine Werkstatt. Der andere destilliert daraus oft wunderbare Aufführungen, voller Gefühl und Witz, aber niemals schwer und bitter.

Ach, wäre es doch wieder so gewesen bei ihrem jüngsten Gemeinschaftscoup „3 von 5 Millionen“. Das Stück darüber, wie Arbeitslosigkeit und Armut ein Leben nicht nur überschatten, sondern den ganzen Entwurf dessen, als was der Mensch sich sieht, ins Wanken bringen, hat drei Kapitel. Das erste ist an einen Roman von Leonhard Frank von 1932 angelehnt: ein Roman über drei Freunde, die während der Weltwirtschaftskrise nach Argentinien auswandern, eine Revolution erleben, aber der Not niemals entkommen können. Im zweiten Teil redet Bacon, der Maler, über das Ethos der Kunst, in einem pampigen und rotzigen Gestus: „Wenn einer kritisch sagt, sofort aufstehen und weglaufen.“

Im dritten und längsten Teil begegnet man wieder drei Arbeitslosen, diesmal aus der Gegenwart, die es mit einem Banküberfall versuchen. Doch von den dreien im ersten Teil unterscheidet sie nicht nur eine größere Aggressivität, sondern von Anfang an vor allem, dass sie kein sicheres Bild ihrer Selbst mehr haben. Sie sind oder waren oder wollten Künstler werden, alle drei – Schauspieler, Dichter, Filmemacher – und experimentieren ständig daran herum, wer sie eigentlich sind. Das haben ihnen der Schneider, der Schreiber und der Arbeiter aus der historischen Episode voraus: wenigstens zu wissen, was sie verloren haben.

So weit, so gut, ein spannender Ansatz. Doch die Inszenierung zerfällt in einen grandiosen ersten Teil, der mit Mitteln der Revue, der Ballade und des Märchens in Siebenmeilenstiefel durch ein Kapitel Weltgeschichte saust, und einen unentschieden zweiten, der kaum von der Stelle kommt. Die Welthaltigkeit des Beginns verengt sich hier auf ein selbstreferenzielles Spiel.

„Der Romanschriftsteller sollte nicht tiefer sein wollen, als der Mensch und die Welt sind“, zitiert das Programmheft Leonhard Frank, und tatsächlich durchzieht den Abend eine große Sehnsucht nach dem proletarischen Stolz. Das ist sozusagen, was der Freischaffende dem Arbeiter noch immer neidet, auch wenn der selbst schon zur historischen Figur geworden ist. „Ich habe die Waffe gekauft. Ich war wütend und freischaffend“, sagt Peter Kurth, der den Schauspieler ohne glaubwürdiges Rollenangebot spielt, kurz bevor er die Pose des Gekreuzigten annimmt.

An einen Roman von 1932 anlehnend, spielt Petras mit Mitteln von Revue und Märchen

Natürlich stecken solche Szenen auch voll bissiger Selbstironie. Kurth, Peschel und Thomas Lawinky legen einzelne Szenen durchaus glanzvoll hin. Ihre Figuren scheitern zunächst am Dilettantismus, etwa beim Banküberfall, von dem in einer langen und komischen Pantomime erzählt wird. Doch ebenso wie die Erzählformen sich des Öfteren auf Nebenwegen zu verirren scheinen, bleibt auch die Geschichte unentschlossen: Zwanzig Minuten vor Schluss setzt das dreistündige Drama plötzlich zu einer neuen Erklärung für das Scheitern seiner Figuren und das Zerbrechen ihrer Freundschaft an: Da spielen die Herkunft aus dem Osten, der Weg in der Westen, Verdacht und Verrat auf einmal die Schlüsselrolle. Und man verliert bald die Lust, Martin, Sebi und Dirk in ihre Selbsterforschung zu folgen.

Dabei hat das Spiel mit unterschiedlichsten Formen und Formaten im ersten Teil durchaus funktioniert. Wenn Margit Bendokat, Christine Schorn und Katharina Schmalenberg als Schneider, Schreiber und Arbeiter auf einer laufstegschmalen Bühne stehen, hinter sich eine animierte Landschaft aus Knete, zwischen sich einen Hund, von einer Puppenspielerin bewegt, und begleitet von einem Conferencier im Zwanzigerjahre-Fransenkleid, dann ist da ebenso viel Dada drin wie Comic. Aber man denkt über diesen Stilmix nicht nach, so spielerisch leicht und gelungen füllt er den Raum des historischen Abstands.

„Kunst ist das Nicht-Gesagte und auf geheimnisvolle Weise dennoch Gesagte, das ohne Worte zwischen den Zeilen mitschwingt und über den kontrollierenden Verstand hinweg Gefühl erzeugend ins Gefühl des Lesers trifft“, schrieb Frank, und die Theaterepisode nach seinem Roman erfüllt das tatsächlich. Vielleicht macht die Schwäche des zweiten Teils aus, dem Nicht-Gesagten nicht zu trauen und zu viel aussprechen zu wollen.