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Archiv-Artikel

Christo macht den Central gehl

Christo will New York in der trübsten Jahreszeit ein Band aus Farbe schenken„Der Park hat es nicht nötig, dass irgendwer Farbe drüberklatscht“, sagt eine ältere Dame

AUS NEW YORK SEBASTIAN MOLL

Es ist ein grauer Januarmorgen im Central Park. Die kahlen Bäume rechts und links am Wege ragen wie knorrige alte Finger in die milchige Dämmerung. Ein paar Jogger drehen pflichtbewusst ihre Runde und keuchen stumm in die schwere, feuchte Luft. Der Park hat etwas Gespenstisches um diese Uhrzeit. Es ist halb sieben, und noch kein Hupen nervöser Taxifahrer dringt über die Mauern die Ruhe der großen grünen Mitte der Stadt.

Nur am Boathouse ist schon Leben. In den zwei riesigen Baucontainer vor dem Restaurant am Paddelteich brennt Licht. Die riesigen Barracken sind das Hauptquartier des neuen Projekts von Christo, der nach dem Reichstag in Berlin nun den New Yorker Central Park in ein Kunstwerk verwandelt. Der Konferenzsaal des Boathouse, nur ein paar Schritte entfernt, füllt sich langsam mit Menschen in dicken Pullovern und wasserfesten Jacken. Die Arbeiter, die Christos Ideen und Zeichnungen in Tuch und Farbe umsetzen sollen, zapfen sich aus großen Thermosbehältern dünnen amerikanischen Kaffee und warten auf die Lagebesprechung des Tages.

Es ist der dritte Tag von sechs Wochen Arbeit im nasskalten winterlichen Park, und die Ergebnisse sind bislang nur am äußersten Nordrand des Stadtgartens zu sehen. Wenn die sechs Wochen vorbei sind, am 12. Februar, sollen von 7.500 über die Gehwege gespannten Toren Tücher in Safran wehen – einem ins Ocker tendierenden sanften Orange. Christo möchte den New Yorkern in der kahlsten, trübsten Jahreszeit ein Band aus Farbe schenken.

Zuerst müssen aber die Stahlfüße aufgestellt werden, auf die später die Tore montiert werden: 15.000 Sockel, die je rund fünf Zentner wiegen. „Das ist stumpfe Knochenarbeit“, sagt Cathy Getz, eine Malerin, die sich mit der Fron für die Kunst eines anderen ein paar Dollar dazuverdienen möchte. „Aber ich habe nichts anderes erwartet. Die größte Kunst hier ist, trotz der stupiden Rackerei, eine positive Einstellung zu bewahren.“

Eine solch prosaische Einstellung zu dem Job haben hier viele. Joe und Ronny etwa, die nicht eben so wirken, als würde es sie an einem Tag wie diesem, an dem Schneeregen angekündigt ist, hinaus an die Arbeit drängen. „Es ist ein Job und die Bezahlung ist fair“, sagt Ronny. „Vielleicht ist es ja ein erhebendes Gefühl, wenn alles fertig ist“, fügt Joe an. Im Moment findet er jedoch vor allem, dass „die Dinger verdammt schwer sind“.

Vince Davenport, ein hagerer Mann mit lichtem Haar und einer rahmenlosen Brille, sieht das Kunstwerk ebenfalls eher nüchtern. „Ich bin kein Künstler“, sagt der leitende Ingenieur des Projekts, der bereits zum dritten Mal mit Christo zusammenarbeitet. Christo hat die Ideen, Davenport ist für die Umsetzung zuständig. Er hat die Tore entworfen und kontrolliert ihre Fertigung, Lieferung, die Installation, einfach alles. „Ein logistischer Albtraum“, sagt er. „Es gibt keine Erfahrungswerte, alles ist improvisiert.“

Man merkt es Vince Davenport an, dass er derzeit in einem Albtraum lebt. Er wirkt extrem angespannt, ständig huscht ein Zucken über sein Gesicht, und er muss sich dazu zwingen, sich auf jeweils eine Sache zu konzentrieren und die hundert anderen Dinge, an die er denken muss, vorübergehend auszublenden. Als er sich an die Arbeiter wendet, bevor er sie auf ihre Schicht schickt, möchte er am liebsten alle seine Sorgen und Bedenken auf einmal loswerden.

Den Pferden auf den Reitpfaden im Cenral Park sei immer Vorfahrt zu gewähren, redet er den Gabelstaplerfahrern ins Gewissen, die offenbar in den ersten zwei Tagen heikle Begegnungen mit Vierbeinern hatten. Werkzeug dürfe niemals liegen gelassen werden, sagt Davenport. Wenn sich damit jemand verletze, könne das teure Klagen nach sich ziehen. Und bevor die Trupps über die Nordhälfte des Parks verteilt werden, eine letzte Mahnung des Chefs: keine Medieninterviews während der Arbeitszeit. „Wir haben hier einen Job zu erledigen.“

Für Davenport zählt jede Stunde. Nur fünf Tage Spielraum hat sein Zeitplan für die Tore, da darf nicht viel schief gehen. „Wenn es nur einmal richtig schneit, sind die fünf Tage weg. Dann müssen wir alle Wege frei schaufeln und alle Markierungen neu machen.“ Doch die Rastlosigkeit des Machers will sich nicht so recht auf seine Leute übertragen. Clint und Dave zum Beispiel, zwei eher dicke Männer um die 50, sitzen etwa am frühen Nachmittag auf einer Bank an einem schmalen Weg auf Höhe der 100ten Straße und rauchen in aller Seelenruhe eine Zigarette.

Das Medienverbot während der Arbeitszeit beeindruckt sie auch nicht sonderlich. Im Gegenteil, die Gelegenheitsarbeiter sind dankbar, dass jemand ihre Klagen über den harten Job hört. Sie sind eigentlich nur dafür zuständig, ihren Trupp – einen Gabelstaplerfahrer und zwei Mann, die die Füße verlegen – abzusichern. Das hat sie aber ganz schön geschafft. „Hunderte von den Dingern haben wir heute aufgestellt, hoch und runter durch den Park, ich bin bestimmt 18 Meilen gelaufen“, stöhnt Clint.

Andere finden den Arbeitseinsatz von Dave und Clint indes nicht ganz so aufopferungsvoll. Während sie in ihren grell orangefarbenen Sicherheitswesten auf der Parkbank ruhen, vermisst ein junger Mann mit Zimmermannshosen und einem dichten Bart eifrig den Weg vor ihrer Nase, zeichnet Kreidemarkierungen, schafft Sockel vom 100 Meter entfernten Hauptweg heran und verlegt sie. „Die sind stinkend faul“, murmelt er in breitestem Berlinerisch vor sich hin.

Jan Feling ist einer von einem guten Dutzend Arbeitern einer Berliner Baufirma, die schon an der Verhüllung des Reichstags gearbeitet haben und die Christo nach New York holte, weil er damals mit ihrer sprichwörtlichen deutschen Präzision so zufrieden war. Als gewissenhafte deutsche Facharbeiter geht ihnen die Wurschtigkeit der amerikanischen Tagelöhner mächtig auf den Senkel. Zwei der Amerikaner wären morgens einfach nicht zum Dienst erschienen, sagt Jan fassungslos, der Gabelstaplerfahrer würde jede zweite Fuhre aus Versehen auf die Straße kippen. Und von allein würden Dave und Clint nicht darauf kommen, mal anzupacken, wenn wieder mal vier Stahlfüße im Gebüsch gelandet sind. „Aber wat soll’s“, tröstet sich der Berliner, „es ist det Christo-Projekt und wenn et fertig ist, wird det ’ne dolle Sache.“ Von der Möglichkeit, zwei Monate in New York zu arbeiten, mal ganz abgesehen.

Mit ihrer dem Klischee entsprechenden Arbeitsmoral haben sich die Deutschen innerhalb der Christo-Truppe schon in den ersten drei Tagen einen Ruf erworben. Am Rand des Löschwasserreservoirs zwischen 85. und 94. Straße sichert John, der ansonsten bei Sportgroßveranstaltungen als Ordner arbeitet, seinen Trupp ab und schwärmt: „Wenn wir in schwierigem Gelände sind, holen wir immer die Deutschen. An steilen Abhängen, an Treppen, überall, wo kein Gabelstapler hinkommt. Mann, das musst du dir mal reinziehen, wie die da arbeiten – wie die freihändig die Torsockel auf den Millimeter genau platzieren.“

John ist überhaupt ein ziemlich begeisterungsfähiger Geselle. Der sportlich wirkende New Yorker ist der Erste an diesem Tag, der wirklichen Enthusiasmus für seine Arbeit versprüht. „Das ist nicht einfach nur irgendein Job, das ist ein Projekt“, sagt er und widerspricht damit vielen seiner Kollegen. „Wir schaffen hier gemeinsam etwas, und das ist sehr aufregend.“

John liebt wie viele New Yorker seinen Central Park innig. Im Sommer, sagt er, ist er beinahe jeden Abend hier, um zu joggen oder zu rollerbladen. „Der Central Park war vor 150 Jahren eine grandiose Idee. Er ist ein Ort, der allen gehört und in dem alle gleich sind. Und das Projekt von Christo ist ganz in diesem Geist – wir alle haben Teil daran und teilen es mit der ganzen Stadt.“

Bis die Fahnen innerhalb einer Nacht von den 7.500 Toren herunter gelassen werden, ist es allerdings noch einen guten Monat hin. Ein Monat, in dem Vince Davenport jeden Morgen um vier in seinem Baucontainer aufsteht und sich überlegt, was in den nächsten Stunden wieder alles schief gehen kann. Nach drei Tagen ist er immerhin einigermaßen zufrieden: „Wir sind schneller, als wir dachten“, sagt er, als er um halb sechs am Abend im Boathouse einen Tee trinkt und auf den Paddelteich blickt. „Aber morgen soll es schneien“, fügt er an, kippt dann hastig die Tasse hinunter und eilt zu einer Einsatzleiterbesprechung.

„Wollen Sie mal die andere Seite der Geschichte hören“, sagt eine vornehme ältere Dame mit einer Baskenmütze und einer großen silbernen Brosche auf ihrem Rollkragenpullover vom Nebentisch herüber, nachdem Davenport weg ist. „Ich bin seit 30 Jahren jeden Tag im Central Park, um die Vögel zu beobachten. Und ich finde, der Park ist so, wie er ist, Kunst genug. Der Central Park hat es nicht nötig, dass irgendwer Farbe darüberklatscht.“

Draußen wird es schon wieder dunkel im Park, an einem Tag, an dem es nie richtig hell geworden ist. Das Licht der verschnörkelten Laternen bildet in der wasserschwangeren Abendluft Auren aus tausenden matt leuchtenden Tröpfchen. Am Brunnen des Wasserengels, der exakten Mitte des zehn Kilometer langen und zwei Kilometer breiten Parks, sitzt ein einsames Liebespaar und genießt schweigend seine Zweisamkeit.