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Archiv-Artikel

„Bis zum Letzten bleiben“

Osnabrück ist nicht Kreuzberg. Dennoch hat hier eine unbeugsame Gruppe Hausbesetzer in den letzten Jahren vier Mal ohne Miete gewohnt. Warum Hausbesetzer auch heute nicht oldschool sind

Um ihren Forderungen nach einem autonomen Zentrum Nachdruck zu verleihen, greift ein Haufen junger linker Osnabrücker zu einem bewährten Mittel: der guten alten Hausbesetzung. Aus dem letzten Gebäude wurden sie mittlerweile rausgeworfen, wie es jetzt weitergehen soll, erklärte der taz Hildegard Winkler (40), eine der Besetzerinnen.

taz: Seit 2001 hatten Sie nacheinander vier Häuser besetzt. Lebt damit nicht wieder ein Anachronismus auf?

Hildegard Winkler: Unsere Zielsetzung ist ein wenig anders. Es geht uns um die Forderung nach einem autonomen Zentrum. Aber wenn wir in der Hausbesetzung drin sind, ist es schon ähnlich wie damals. Durch die Wohnsituation ergeben sich halt ähnliche Gruppendynamiken und Diskussionen über den Umgang miteinander und mit der Situation. Da kann ich schon Parallelen zu damals feststellen.

Wie ist die Atmosphäre im Haus, wenn man weiß, die Polizei wird das Gelände räumen?

Wir müssen halt überlegen, bis zu welchem Punkt wir uns auf Verhandlungen mit der Stadt einlassen. Wir müssen gucken, was noch realistisch durchsetzbar ist – da gibt es natürlich heftige Diskussionen. Die einen meinen, wir müssten bis zum Letzten drin bleiben. Andere sagen: „Nein, das wird nur schwierig und wir kriegen Strafanzeigen.“

Wird bei solchen Entscheidungen abgestimmt?

Wir treffen immer Konsensentscheidungen. Wir reden so lange, bis wir den Kompromiss gefunden haben, mit dem sich alle einverstanden erklären können.

Eine langwierige Angelegenheit...

Stimmt. Leider passiert es, dass Leute, die das nicht mehr aushalten können, die Diskussion verlassen. Total schade, das hätten wir auch gerne anders. Letztendlich ist es uns aber wichtig, nicht abzustimmen, denn Demokratie ist immer auch Unterdrückung.

Die Welt draußen läuft ja weiter in demokratischen Bahnen. Ist die kleine Osnabrücker Enklave des Konsenses auch ein Modell für die große Gesellschaft?

In Diskussionen an den Infoständen kommt immer zuerst die Reaktion: Das kann nicht sein, das ist nicht machbar. Besonders ältere Menschen sind ganz erstaunt, wenn wir denen sagen: Hey, in den zwei Jahren des az-Wagenplatzes am Fürstenauer Weg hat das funktioniert und nichts ist zusammengebrochen. Dann macht es bei einigen Leuten „klick“, weil die erkennen, dass einiges möglich ist. Dadurch hat das Ganze durchaus Beispielcharakter.

Warum haben Sie die Hausbesetzung als Mittel gewählt?

Wir wollen damit den Bedarf nach einem autonomen Zentrum deutlich machen. Außerdem gibt es in Osnabrück immer noch leer stehende Häuser, für die sich keine Investoren finden und die man solange an uns vermieten könnte.

Zurzeit stehen Sie ohne Haus da. Gibt es weitere Besetzungen?

Wir werden mit Sicherheit bald wieder Häuser besetzen, weil es noch genug Leerstände gibt, die uns zur Verfügung gestellt werden könnten. Aber da wir auch noch arbeiten oder zur Schule gehen müssen, können wir nicht alle paar Wochen ein Haus besetzen. Trotzdem wird das auch weiter Teil unserer Politik sein.

INTERVIEW: Heiko Ostendorf