: Der Fruchtbarkeitsbomber
Heute stellt Airbus in Toulouse der Weltöffentlichkeit den neuen A 380 vor. Die Begeisterung für den paneuropäischen Riesenvogel hat allerdings weniger technische als tiefenpsychologische Gründe
VON CHRISTIAN SCHNEIDER
Endlich – wir haben den Größten! Selten war hierzulande die Aufregung so groß, die Begeisterung über eine technische Spitzenleistung so einhellig wie beim Airbus 380: Bald also wird der mächtigste Vogel am Himmel vom deutschen Adler abstammen – wenigstens zu Teilen. Vorbei die Zeiten, in denen unter dem betulich-plumpen Namen „Jumbo“ ein US-Produkt die zivile Lufthoheit innehatte.
Keine Frage, es tut unseren rezessionsgeschüttelten Seelen wohl, wenn sich wie Phönix aus der technologischen Asche endlich wieder ein deutsch-europäisches Ingenieurswunder in ungeahnte Höhen schraubt. Desto mehr, wenn es insgeheim als Sieg über den großen amerikanischen Bruder verbucht werden kann. Denn hinter dem „bedeutendsten Vorhaben der europäischen Luftfahrt“ (Airbus- Selbstdarstellung) steht ein jahrelanger Fight zwischen dem Airbus- Konsortium und Boeing, deren Modell 747 bislang die Lüfte beherrschte.
Ein Luftkrieg mit seltsamen Fronten: Nicht nur, dass Konkurrent Boeing schon in den Neunzigerjahren eine Marktanalyse vorlegte, die am wirtschaftlichen Nutzen eines neuen Super-Jumbos ernsthafte Fragezeichen anbrachte. Es gab sogar europäisch-amerikanische Kooperationsvorhaben, doch der Plan einer gemeinsamen Entwicklung des neuen Großflugzeugs ist vor zehn Jahren begraben worden. Dass Europa sich durchgerungen hat, den Riesen-Carrier allein zu bauen und damit den Fittichen des großen Bruders zu entweichen, hat deshalb mehr als nur ökonomische oder technische Gründe.
Psychologisch reicht das aerospatiale Triumphgefühl, das derzeit die Republik angesichts des Supervogels erschüttert, ohnehin tiefer – es reicht bis in unsere symbolische Organisation hinein. Nicht umsonst ist der Traum vom Fliegen eng mit Größenfantasien genitalen Ursprungs verschwistert – schon Sigmund Freud fand im Zeppelin den Inbegriff des Phallus-Symbols.
Bei den medialen Präsentationen des neuen Flugkörpers fällt auf, dass die Aufmerksamkeit nicht so sehr Äußerlichkeiten wie Spannweite, Spitzengeschwindigkeit und Kerosinverbrauch gilt, sondern vornehmlich dem Innenraum: Achthundertsoundsoviel Menschen könnten bei maximaler Nutzung im gewaltigen Bauch Platz finden. Das besticht noch weit mehr als der Blick in die luxuriöse erste Klasse (die wahrscheinlich niemand, der diese Zeilen liest, jemals betreten wird).
Bei der Faszination über so viel Nutzlast geht es nicht um den wirtschaftlichen Nutzen, sondern buchstäblich um „Tragfähigkeit“: Was für eine geballte Ladung! Wer sich in diese Flug- und Transporthöhle fantasiert, hat schon vor dem ersten Abheben im März Anteil an einer ungeheuerlichen Aufstiegs-, Gemeinschafts- und Fruchtbarkeitsfantasie: Schließlich sind wir doch alle Europäer.
Mit diesem Super-Airbus setzen wir in einem perfekten Objekt zum kollektiven Höhenflug an, das außen einen großkalibrigen Superphallus, innen einen voluminösen Mega-Uterus darstellt – fast so perfekt wie die Urmenschen des platonischen Mythos, doppelgeschlechtliche Kugelwesen, die es selbst mit den Göttern aufnahmen.
Der neue Airbus ist ein Fertilitätsbomber. Aus ihm werden nicht, wie bei den legendären „Rosinenbombern“ der Berliner Luftbrücke, Lebensmittel auf die ausgehungerte Bevölkerung eines Kriegsverlierers niedergehen, sondern seiner ungeheuerlichen Bauchhöhle werden wir selber entsteigen: Wir, die Botschafter des siegreichen paneuropäischen Geistes.
„A small step for a man, but a giant leap for mankind“ ließen die US-amerikanischen PR-Strategen 1969 (das Jahr, in dem der „Jumbo“ auf den Markt kam) den ersten Mondfahrer sagen, als er seinen Fuß auf den Erdtrabanten setzte. Unser Größter aber gehört nicht der Menschheit, sondern uns.
Der extragroße A 380 ist als europäischer Synthesevogel weniger Träger unseres technischen Könnens als vielmehr eines spezifischen „Geistes“ – das erste legitime europäische Wappentier.