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Archiv-Artikel

Tod im Pekinger Hausarrest

AUS PEKING GEORG BLUME

Kein Parteichef seit der kommunistischen Revolution verlor so schnell seine Macht wie Zhao Ziyang. Doch kein zweiter Politiker prägte so sehr die Reformpolitik Chinas unter Deng Xiaoping, der ja selbst nie an die Parteispitze trat. Zhao kann durchaus als der für die heutige Gestalt seines Landes einflussreichste KP-Chef gelten – obwohl er sich noch gestern, 85-jährig und an seinem Todestag, in Gefangenschaft befand.

15 Jahre musste Zhao in der Stille seines Pekinger Familienhauses verbringen: als von der eigenen Partei unter Hausarrest gestellter Exgeneralsekretär und wichtigster politischer Zeuge des Tiananmen-Massakers vom 4. Juni 1989. „Wenn ich nicht durchs Feuer gehe, wer sonst wird es tun?“, fragte sich Zhao zur revolutionären Stunde im höchsten Amt des Staates, als Millionen Studenten und ihre Sympathisanten im Frühjahr 1989 mit landesweiten Massendemonstrationen gegen die Willkürherrschaft der KP aufbegehrten. „Unsere Partei muss sich den neuen Zeiten und der neuen Situation anpassen und lernen, neue Probleme mithilfe von Demokratie und Gesetz zu lösen“, empfahl Zhao damals dem Politbüro.

Sturz eines Reformers

Doch das hörte nicht mehr auf ihn, sondern folgte seinem Gönner Deng Xiaoping, der gegen Zhaos Willen die „Bekämpfung des Aufruhrs“ verfügte. Zhao aber wurde zum Helden der Demokratiebewegung, als er sich am 19. Mai 1989 um 4 Uhr morgens in Begleitung des heutigen Premierministers Wen Jiabao auf den von Studenten besetzten Tiananmen-Platz begab und ihnen wehmütig zurief: „Ich bin zu spät gekommen“, aber zugleich versicherte: „Die von euch angeschnittenen Probleme sollen gelöst werden.“ Praktisch seit jenem Tag stand Zhao unter Hausarrest und konnte sich nicht mehr öffentlich äußern. Nur im Juni 1998, kurz vor dem ersten Chinabesuch Bill Clintons, gelangte noch einmal ein Schreiben Zhaos in die ausländische Öffentlichkeit, in dem dieser die Tötung mehrerer hundert Demonstranten bei der Niederschlagung der Studentenbewegung von 1989 als „eines der größten Menschenrechtsprobleme des Jahrhunderts“ geißelte.

Für die meisten Chinesen aber war Zhao seit seiner Entmachtung wie vom Erdboden verschluckt. Auch die Todesnachricht wurde gestern nur vom englischen Dienst der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua gemeldet. Und doch erinnerten sich viele Chinesen gern an Zhao – allerdings weniger aufgrund seiner Haltung während der Studentenrevolte als aufgrund seiner Reformleistung zuvor.

Freiheit für die Wirtschaft

„Möchtest du zu essen haben, dann suche nach Ziyang“ (Yai chi liang, zhao Ziyang), lautete einst ein auf Zhaos Namen gemünztes Sprichwort, nachdem sich dieser schon in den Siebzigerjahren als Parteisekretär der Provinz Sichuan den Ruf als erfolgreichster Armutsbekämpfer Chinas verdient hatte. Zhao war damals der erste Provinzchef, der auch ohne den Segen Pekings die Auflösung der Kommunen wagte und den Bauern Sichuans erlaubte, einen Teil ihrer Böden in eigener Regie zu bewirtschaften und die Ernte frei zu verkaufen. Ähnlich viel Freiheit ließ er den Staatsbetrieben, und Sichuans Wirtschaftsproduktion stieg von 1976 bis 1979 unter Zhao um 80 Prozent. Das aber war genau das Reformmodell, das Deng Xiaoping suchte, als er im Dezember 1978 endlich die Macht in Peking in seiner Hand wusste. Fortan war Zhao Dengs wichtigster Mann, schon 1980 wurde er Premier und übernahm die Leitung aller konkreten Reformschritte.

Zhaos Landreform griff bald im ganzen Land. Mit dem berühmten „Dokument Nummer eins“ garantierte Zhao 1984 allen Bauern die 15-jährige private Nutzung ihrer Böden. Das war der Moment, in dem das Land den Hunger für endgültig besiegt hielt. Doch Zhao war auch der erste Premier, der teure westliche Anzüge und Krawatten trug – und nicht nur damit das Vertrauen westlicher Investoren gewann. Er galt als erster Pekinger Regierungschef mit unbestreitbarer Wirtschaftskompetenz – so holte Zhao als ersten großen deutschen Investor Volkswagen nach China. Zugleich handelte er das 1984 unterzeichnete Rückgabeabkommen für Hongkong mit der englischen Regierung aus – ein Zeichen, dass China wieder international hoffähig war.

Wie stark Zhao auch politische Reformen anvisierte, ist unklar. Schon 1980 nahm er jedenfalls den Aufbau eines modernen, von der Partei getrennten Rechtswesens in Angriff. Große Teile des Zivil- und Strafrechts wurden in seiner Amtszeit neu geschrieben, erstmals seit 1949 wurde eine professionelle Juristenausbildung eingeführt. Dass Zhao mit diesen Initiativen über die politischen Grenzen des Einparteienstaates hinauswollte und in ihm ein „chinesischer Gorbatschow“ steckte, haben seit seiner Solidarisierung mit der Studentenrevolte viele seiner politischen Freunde wie sein Sekretär Bao Tong geschrieben, doch überprüft werden kann das nicht.

So wie die Studentenrevolte von 1989 erst durch den Tod von Zhaos Vorgänger und die anschließenden Trauerkundgebungen ins Leben gerufen wurde, würde auch Zhaos Tod die Chinesen erregen, fürchtete die KP-Führung jahrelang. Bis ihre nicht zuletzt von Zhao inspirierten Wirtschaftserfolge so groß waren, dass die meisten Chinesen ihre demokratischen Forderungen vergaßen. Niemand erwartet heute mehr demokratische Trauerzüge in Peking.