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Archiv-Artikel

Unser täglich Brot

PR mal kritisch: Ein Bäcker macht Umsatz mit Hartz IV. Sein Polit-Brot geht weg, na, wie warme Semmeln

„Jetzt kommen neue Gesetze, jetzt kommt auch ein neues Brot“, dachte sich Ngoc Quyen Dang zum Jahreswechsel. Seit Anfang vergangener Woche bietet der Bäckermeister in Hannovers Szeneviertel Linden ein spezielles „Hartz-IV-Brot“ für 99 Cent an.

Bei den Kunden der Bäckerei findet das Polit-Brot großen Anklang. Am Ende des Tages ist es regelmäßig restlos ausverkauft: 36 bis 40 Stück sind dann über den Tresen gegangen. „Die Leute freuen sich, lachen, finden das ganz lustig und nehmen gleich eins mit“, sagt Verkäuferin Kirstin Dobers. Nur einmal habe jemand Anstoß an der Aktion genommen: „Eine Kundin, die Sachbearbeiterin beim Arbeitsamt ist, war der Meinung, dass die Leute, die Hartz IV beziehen, sich dadurch auf den Schlips getreten fühlen.“

Dang teilt diese Einschätzung nicht. Natürlich möchte er mit seinem Angebot auch weniger wohlhabende Kunden auf seine Bäckerei aufmerksam machen: „Die Menschen geben heute viel weniger Geld für Lebensmittel aus als früher.“

Doch Dang hat auch ein politisches Anliegen, denn er sieht die Existenz seines Kleinbetriebes durch Discount-Bäckereien gefährdet. Der Vietnamese, der seit 25 Jahren in Deutschland lebt, hatte nach seiner Ausbildung „bei Null angefangen“ und mit einer Existenzgründerhilfe 1997 das kleine Geschäft mit eigener Backstube übernommen. Seit vor zwei Jahren überall Back-Shops aus dem Boden schossen, ist sein Umsatz um 40 Prozent gesunken. Die Discounter-Kunden bekämen tiefgekühlte, vorgebackene Brote zu Niedrigpreisen, und im Handwerk gingen Arbeitsplätze verloren.

„Normalerweise ist Brot für 99 Cent nicht machbar“, sagt Dang. Er möchte mit seinem Reformbrot ein Zeichen gegen die Billig-Bäcker setzen und hofft, dass die Kunden wiederkommen, um auch andere Produkte zu kaufen.

Nicole Drodoffsky, die gerade mit ihrem kleinen Sohn und einem „Hartz-IV-Brot“ unter dem Arm die Bäckerei verlässt, ist schon überzeugt. „Ich finde das eine total witzige Idee. Das Brot schmeckt auch sehr lecker.“ Die Aktion wecke Bewusstsein für die Folgen der Arbeitsmarktreformen: Das tägliche Brot sei zu teuer geworden.

Das „Hartz-IV-Brot“ gibt es übrigens auch ohne Antrag. Es ist keinesfalls ein Billig-Brot. Dang denkt sich für sein Angebot jede Woche ein eigenes neues Rezept aus. Diese Woche gibt es Roggenmischbrot mit Sonnenblumenkernen. Jörg Smotlacha