Winterbottom bittet zu Bett

Der britische Schnellfilmer Michael Winterbottom nimmt sich die Arthouse-Erotik vor. Das Resultat, „9 Songs“, kombiniert Sexszenen mit Konzertmitschnitten, wird dabei aber leider nie verwegen

VON HARALD PETERS

Unermüdlich filmt er sich durch die Genres. Nachdem Michael Winterbottom in nur wenigen Jahren seinen Beitrag zu den Sparten Kriegs-, Musik-, Science-Fiction- sowie Liebesfilm gedreht und zwischendurch noch Zeit für einen Western, ein Flüchtlingsepos und ein Historiendrama gefunden hat, ist die Arthouse-Erotik dieses Mal gewissermaßen überfällig. Wie man hört, wollte er sich zu diesem Zweck des Romans „Plattform“ von Michel Houellebecq annehmen, doch weil Houellebecq mit seinem Buch etwas Ähnliches vorhatte, stand Winterbottom plötzlich ohne Geschichte da. Doch so etwas wirft Europas schnellsten Schnellfilmer nicht so leicht aus der Bahn. Er machte sich einfach ohne Handlung ans Werk.

Nichtsdestotrotz gibt es Handelnde. Sie heißen Matt (Kieran O’Brien) und Lisa (Margot Stilley) und treffen sich bei einem Konzert. Nach dem Konzert haben sie Sex, nach dem Sex gibt es wieder ein Konzert. Insgesamt werden neun Konzertbesuche gezeigt, was in den Konzertbesuchspausen wiederum Raum für acht Sexszenen ließ. Sonst gibt es in dem Film nichts: kein Drehbuch, keine vorgegebenen Dialoge und leider auch keine Idee. Der Überlieferung zufolge stand zu Beginn der Dreharbeiten die Frage, was falsch daran sei, im Kino Sex zu zeigen. Warum Winterbottom nun als Antwort einen Film abliefert, in dem es fast nur noch Sex gibt, weiß man allerdings nicht. Und noch rätselhafter bleibt, warum Matt und Lisa ständig Konzerte besuchen müssen: Franz Ferdinand, Black Rebel Motorcycle Club, Super Furry Animals, Dandy Warhols, Michael Nyman und Primal Scream. Fast möchte man schon annehmen, bei Matt oder Lisa handele es sich um Musikkritiker. Aber nichts da: Von Lisa weiß man nur, dass sie Amerikanerin ist, und Matt wird als Antarktisforscher präsentiert; lose zwischen die Konzert- und Sexszenen geschnitten, sieht man ihn einsam durch die Eiswüste stapfen. Warum er Antarktisforscher sein muss und nicht etwa Blumenzüchter, Fahrkartenabreißer, Tischler oder Koch? Auch darüber wird man nichts erfahren.

Als der Film letztes Jahr auf dem Filmmarkt von Cannes Premiere hatte, gab es natürlich den erwarteten Skandal. Die britische Boulevardpresse erklärte „9 Songs“ zum schmutzigsten Film aller Zeiten, während sich manch Kritiker schützend vor das Werk stellte, die sensible Kameraarbeit lobte, die mutige schauspielerische Leistung und auch die Sexszenen. Doch wie man mit etwas Abstand weiß, behielt bei all dem Hin und Her der Einschätzungen und Argumente vor allem die Stimme des Hauptdarstellers Kieran O’Brien Recht, der sich über die seltsame Aufregung wunderte und knapp konstatierte: „It’s just fucking!“

Mehr ist es tatsächlich nicht. Es ist schlichtes Gebumse mit popmusikalischer Kontrastierung. Nicht einmal solide pornografische Qualitäten lassen sich dem Film unterstellen. Da „9 Songs“ ohne künstliches Licht gedreht wurde, Kameramann Michael Zyskind ständig mit der Kamera wackelte und Michael Winterbottom es für eine gute Idee hielt, durch einen wirren Schnitt den Bildern jede Form von Rhythmus zu nehmen, muss man sich schon anstrengen, um sich ein Grundinteresse zu bewahren. Gewiss, Winterbottom wollte den voyeuristischen Blick vermeiden. Aber wozu ist gefilmter Sex aus nicht-voyeuristischer Perspektive gut?

Es ist zwar anzunehmen, dass Winterbottom mit dem Sex einen Einblick in Matt und Lisas Paarbeziehung vermitteln wollte. Doch wenn Matt seiner Lisa die Augen verbindet und ihre Hände ans Bettgestell schnürt, vermittelt er eher eine Ahnung davon, dass Adrian Lynes „9 1/2 Wochen“ seine Hauptinspiration gewesen sein könnte. Und das macht wiederum deutlich, dass nichts an dem Film auch nur ansatzweise neu ist. Angefangen von Mickey Rourkes und Kim Basingers Softcore-Gefummel über Bruno Dumonts „La Vie de Jésus“, Patrice Chéreaus „Intimacy“ bis hin zu Catherine Breillats „Romance“ – in all diesen Filmen hat man vergleichbare Sexszenen gesehen, und zwar besser und interessanter, weil sie mit etwas Inhalt umspült waren.

Einzig im Verhältnis von Filmlänge und Gezeigtem zeigt sich dann doch noch ein unerwarteter Hauch von Originalität. 69 Minuten dauert das Werk. Wer hätte das gedacht.