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Archiv-Artikel

Anarchie in Osterholz

ZIVILES ENGAGEMENT Das niedersächsische Sozialministerium fördert Public-Private-Partnerships zur Verhübschung der Innenstädte – und öffnet dadurch dem Missbrauch von ALG-II-Jobs Tür und Tor

Unter regulären Bedingungen, schätzt Malermeister Olaf Kahl, hätte der Laternen-Auftrag ein Volumen von 20.000 Euro gehabt

VON BENNO SCHIRRMEISTER

Linda Müller ist Geschäftsfrau in Osterholz-Scharmbeck, aber doch Anarchistin – wenigstens ihren Worten nach: „Das ist doch privat“, sagt sie, „da brauche ich keine Gesetze.“ Es sei darum gegangen, „gemeinsam etwas anzupacken“, nur dafür sei die Initiative QIN-Osterholz gegründet, und ohne den Einsatz der Jugendwerkstatt „wären die Laternen nicht gestrichen“.

Jetzt hingegen sind sie gestrichen, alle 80. Und ausgesprochen kostengünstig – dank der jungen Menschen mit multiplen Eingliederungshemmnissen, die einen Platz in der Jugendwerkstatt haben: Die Einrichtung des Kreises wird vom Land Niedersachsen und der EU gefördert und führt Jugendsozialarbeit im Sinne des achten Sozialgesetzbuchs durch. Viele im Ort freuen sich auch über den Anstrich, vor allem die Boutique-Besitzer in der Fußgängerzone. Nur Malermeister Olaf Kahl hat ein Haar in der Suppe entdeckt, das auch die Kreishandwerkerschaft unappetitlich findet.

Kahl meint nämlich: 80 Laternenpfähle anthrazitfarben zu streichen, das wäre ein Auftrag gewesen, bei dem er mit vier Mitarbeitern zwei Wochen zu tun gehabt hätte. Und den folglich die Jugendwerkstatt nicht hätte ausführen dürfen. Denn arbeitsmarktneutral sei das ja nun nicht: Die Malerstunde kostet 40 Euro. Unter regulären Bedingungen, so schätzt Kahl, hätte der Laternen-Auftrag ein Volumen von 20.000 Euro gehabt.

Stefan Kamischow hält das für überzogen: „Für 20.000 Euro streiche ich Ihnen auch 80 Laternenpfähle“, behauptet der Osterholzer Stadtplaner, der irgendwie zuständig ist für die City-Verschönerung. Aber nicht verantwortlich. Bauträger sei nämlich QIN-Osterholz. Dort fließe ja auch die Förderung hin, vom Land: Tatsächlich führt das Sozialministerium, das in Niedersachsen auch für Städtebau zuständig ist, jährlich einen Wettbewerb unter dem Titel „Quartiersinitiative Niedersachsen“ durch.

Der Wettbewerb wird abgekürzt QIN und von einer Agentur in Münster betreut. Dass mit den Mitteln im Sinne des Arbeits- und Sozialrechts verfahren wird, dass beispielsweise keine Ein-Euro-Jobber oder Jugendliche in Fortbildungsmaßnahmen für Sanierungen herangezogen werden, gehört laut Ministerium „nicht zu den Kriterien und wird daher nicht geprüft.“ Ausdrücklich gefördert werden sollen dagegen „strategische Partnerschaften zwischen Kommune, Grund- und Immobilieneigentümern und Standortbetreibern eines innerstädtischen Gebiets“.

Wie das aussehen kann, lässt sich am QIN-Osterholz-Bündnis erkennen: Der Zusammenschluss aus Stadtverwaltung und Händlernetzwerk hat sich nach dem Landes-QIN benannt, als das von ihm ausgetüftelte City-Beleuchtungskonzept im Jahr 2007 neben 17 anderen Projekten ausgezeichnet wurde: „Das ist“, so Kamischow, „ein Verein in Gründung“, ähnliches hat man auch in der Pressestelle der Stadt gehört.

„Wir sind kein Verein“, widerspricht Linda Müller, „weil wir keine Vereinsmeierei wollten, sondern etwas bewirken.“ LautGesetz heißen formlose Zusammenschlüsse Gesellschaften Bürgerlichen Rechts, aber das ist Frau Müller egal. Wichtig ist nur, dass die 40.000 Euro Förderung durchs Sozialministerium und die 40.000 Euro der Stadt nebst den 40.000 Euro von privat für Laternen genug, fürs Streichen aber zu wenig gewesen wären – wenn man keinen Zugriff auf die jugendlichen Arbeitslosen gehabt hätte. „Wichtig ist ja, dass etwas getan wird“, findet Müller. Und den Kommunen fehle das Geld.

In der Tat hoffen sie durch derartige Public-Private-Partnership-Kisten Geld zu sparen. Wichtiger aber scheint, dass niemand mehr direkt verantwortlich ist. So hat Landrat Jörg Mielke Malermeister Kahl geantwortet, er teile ja dessen grundsätzlichen Bedenken. Aber in diesem Fall sei Tätigkeit „der jungen Menschen“ völlig unbedenklich: Die vorliegende Tätigkeit liege „außerhalb des Handlungsfeldes öffentlicher Aufträge“.