: Die Presse ist schuld
Die große Koalition in Bremen zerbricht, auch wenn Landes-Chef Henning Scherf weinerlich ihre Erfolge und ihre Fortdauer beschwört. Die Chance auf einen würdigen Abgang hat er längst verpasst
Von Benno Schirrmeister
Es wird kein schönes Ende. Und es hat schon begonnen: Dass Henning Scherf (SPD) nicht mehr Bürgermeister von Bremen sein kann, dass sein Werk, die große Koalition, kaum zu kitten ist, darüber spricht man im Stadtstaat nicht einmal mehr hinter vorgehaltener Hand. „In dieser Legislaturperiode“, so monierte gestern Jens Böhrnsen, „hat die große Koalition noch keine Fahrt aufgenommen“, und der Senat, sei nicht in der Verfassung, „große Herausforderungen zu meistern“. Böhrnsen ist Chef der SPD-Fraktion in der Bremer Bürgerschaft.
Der Patriarch tut derweil das Übrige, um seinen Abgang zu beschleunigen: Einer Selbstdemontage kam das jüngste Fernseh-Interview des Landes-Chefs mit Radio Bremen gleich. Da stand er, ohne Brille, im Rathaus-Foyer, wirkte unsicher wie ein kurzsichtiger alter Mann ohne Sehhilfe. Er klang weinerlich. Die große Koalition sei „im Kern“ stabil beteuerte Scherf, habe aber „viele Ränder“. Kein Wort über die 549 Millionen, die der Kanzler ihm und Bremen versprochen haben soll – und die fest im Landeshaushalt als Einnahmen eingeplant sind. Ebenso schwieg er zum Auslöser des aktuellen Koalitionsstreits – der zwangsweisen Vergabe von Brechmitteln zur Beweissicherung, an deren Folge jüngst ein nicht vorbestrafter Mann aus Sierra Leone starb (taz berichtete). Im Februar wird im Bremer Landtag ein Misstrauensvotum gegen Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) debattiert. Die Grundlage für die umstrittene Praxis aber hat der Justizsenator gelegt – Henning Scherf.
Stattdessen klagte der Ritter wider den tierischen Ernst über „das Spaßvergnügen“ der Journalisten, „das Land runter zu reden“. Weitere Orginial-Zitate: „Sie müssen nur die Zeitung aufschlagen“, „das geht mir auf den Keks“ und „mich nervt das“. Die Presse ist also schuld – eine alte Floskel. Überraschend jedoch, sie aus dem Munde des Ministerpräsidenten zu hören, der von der Medienrepublik wie kaum ein zweiter gehätschelt und als Landes-Papi mit Fahrrad ins Licht gerückt wurde. Vielleicht ein Reflex darauf, dass der Herrscher bemerkt, dass ihm die Kontrolle entgleitet: Gestern legten der SPD-Landesvorsitzende Carsten Sieling und Fraktions-Chef Böhrnsen ein Grundsatzpapier vor, in dem sie „eine Neubestimmung der Sanierungspolitik“ fordern. Scherf reagierte darauf „mit Verwunderung“. Die „darin vertretenen Positionen und Perspektiven wurden mit mir im Vorfeld nicht erörtert und abgestimmt.“ So klingt Ohnmacht.
Als Hans Koschnick 1985 zurücktrat, geschah das „Knall auf Fall“, so Der Spiegel zwei Jahre später. Diese Gelegenheit hat sein Nachfolger Scherf im Sommer verpasst, als er seinen angekündigten Rücktritt rückgängig machte. Jetzt bietet sich an ihm das Schauspiel eines ebenso rapiden wie gnadenlosen Macht-Verfalls. Schön ist das nicht.