: „Wir müssen die Sprachförderung verstärken“
Die Grünen wollen 250 arbeitslose Lehramtsanwärter zur Deutschförderung in den Kitas einsetzen. Bezahlt werden sollen sie wie Erzieherinnen – und im Gegenzug eine Einstellungsgarantie für den Schuldienst bekommen
taz: Herr Mutlu, die Ergebnisse des Sprachtests „Deutsch Plus“ liegen vor. Danach hat nur noch jeder vierte Schulanfänger Förderbedarf in Deutsch. Sind die Kinder besser geworden?
Özcan Mutlu: Nein, natürlich nicht. Der Test ist leichter. Und er wird in den meisten Fällen von den Erzieherinnen durchgeführt, die weder auf diesen Test vorbereitet waren noch richtig Zeit dafür hatten. Hinzu kommt, dass die Erzieherinnen mit Deutsch Plus in gewisser Weise ihre eigene Arbeit evaluieren sollten. Wer wird sich da schon ein schlechtes Zeugnis ausstellen? Wir hätten trotz aller Kritik bei der bisherigen Sprachstandsmessung Bärenstark bleiben sollen.
Warum?
Damit wir eine Vergleichsbasis haben. Bärenstark hat nicht nur gezeigt, ob, sondern auch wo Kinder gefördert werden müssen. Das macht Deutsch Plus nicht. Außerdem sollte Bärenstark in anderer Form in der zweiten Klasse noch einmal durchgeführt werden, um zu überprüfen, was die gesamten Sprachfördermaßnahmen überhaupt bringen. Davon ist nicht mehr die Rede. Wahrscheinlich scheut man sich davor. Bärenstark II hätte sicher gezeigt, dass die Förderung bei weiten nicht so effektiv ist, wie der Bildungssenator sie darstellt. Dabei ist eine Evaluierung der ganzen Maßnahmen dringend notwendig.
Für 550 Kinder, bei denen Förderbedarf festgestellt wurde und die nicht in einer vorschulischen Einrichtung sind, soll es jetzt verpflichtende Sprachkurse geben: ein knappes halbes Jahr lang zehn Stunden pro Woche. Reicht das?
Nein, das reicht nicht. Zudem müssen auch die Kinder, die bereits in einer Kita sind, zusätzlich gefördert werden. Zu glauben, der bloße Besuch der Kita reiche aus, ist ein Irrglaube.
Was muss passieren?
Es gibt viele wichtige Maßnahmen. Die verstärkte Einbindung der Eltern, mehr Fort- und Weiterbildung, die Sprachförderung muss fester Bestandteil der Lehrerausbildung werden. Ganz dringend ist, dass endlich die Sprachförderung in den Kitas besser wird. Dazu wollen wir einen Vorschlag machen: Berlin braucht in den nächsten Jahren viele neue Lehrer. Wir haben zwar einen Schülerrückgang, aber es kommt auch eine große Lehrer-Pensionierungswelle auf uns zu. In den nächsten zehn Jahren müssen wir tausende neuer Lehrkräfte einstellen. Wir wollen verhindern, dass Lehramtsanwärter, die für teures Geld an den Berliner Universitäten ausgebildet worden sind, in andere Bundesländer oder in andere Branchen abwandern, weil sie hier jetzt keinen Job finden. Wir wollen sie bei der Sprachförderung in den Kitas einsetzen.
Wie soll das gehen?
Wir wollen zunächst etwa 250 Grundschullehramtsanwärterinnen im Bereich Sprachförderung fortbilden und dann als zusätzliche Kräfte in den Kitas einsetzen. Bezahlt würden sie nach dem Tarif für Erzieherinnen. Im Gegenzug sollen sie eine Einstellungsgarantie für den Schuldienst bekommen. Die Lehrkräfte erwerben so Praxiserfahrung und qualifizieren sich weiter. Das ist für sie allemal besser als ein 1-Euro-Job.
Wie soll das finanziert werden?
Eine Erzieherinnenstelle kostet etwa 30.000 Euro im Jahr. Das könnte man zum Beispiel aus den Lehrerstellen finanzieren, die durch den Schülerrückgang überflüssig werden.
Hat die Bildungsgewerkschaft GEW schon protestiert gegen die Bezahlung von Lehrerinnen mit Erziehergehalt?
Die GEW war von unserem Vorschlag nicht begeistert.
Und der Bildungssenator?
Mit ihm haben wir noch nicht gesprochen. Aber wir wollen den Vorschlag im Februar ins Abgeordnetenhaus einbringen. Ich hoffe, die rot-rote Koalition stimmt dieser Maßnahme im Interesse der Schüler und der Lehramtsanwärter zu.
INTERVIEW: SABINE AM ORDE