: Polizei redet erst mal drüber
Gewaltkriminalität unter jungen Menschen mit Migrationshintergrund ist ein immer drängenderes Problem. Auf ihrem ersten Präventionskongress beriet die Berliner Polizei gestern Mittel dagegen
von Plutonia Plarre
Junge Täter stehlen immer seltener und brechen immer weniger ein, aber sie werden immer häufiger gewalttätig. Diese Tendenz ist seit 1991 zu verzeichnen. Im vergangenen Jahr jedoch hätten die Rohheitsdelikte der 8- bis 21-jährigen Berliner Kinder und Jugendlichen „den höchsten je registrierten Wert erreicht“, sagte Polizeipräsident Dieter Glitsch gestern, als er den ersten Präventionskongress der Berliner Polizei eröffnete. Oder in Zahlen ausgedrückt: Gut jeder 40. der besagten Altersgruppe ist 2004 in Zusammenhang mit Körperverletzungs- oder Raubdelikten in Erscheinung getreten. Bei den Kindern und Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft war es sogar jeder 20. Das zentrale Anliegen der polizeilichen Kriminalprävention müsse darum „die Gewaltprävention bei jungen Menschen unter Berücksichtigung junger Männer mit Migrationshintergrund sein“, so Glitsch.
Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass das Thema Jugendgewaltprävention und interkulturelle Kompetenz neben Community Policing (bürgernahe Polizeiarbeit) ganz oben auf der Tagesordnung des Kongresses stand. Mehr als 200 Beamtinnen und Beamte waren der Einladung in dem behördenweiten Rundschreiben gefolgt. Unter ihnen die hauptamtlichen Präventionsbeauftragten der 44 Berliner Polizeiabschnitte und sechs Direktionen, aber auch Kriminalbeamte und ganz normale Schutzpolizisten. „Wenn die Stadt ein richtiges Problem hat, dann ist es Gewaltkriminalität“, sagte der Leiter des Landeskriminalamts Peter-Michael Haeberer. „Durch die demografische Entwicklung wird uns das Thema noch auf die Füße fallen.“ Repression allein sei keine Antwort auf die große Anzahl von jungen Tätern mit Migrationshintergrund. „Die Instrumente der Sozialkontrolle müssen geschärft werden“, so Haeberer.
Ansätze gibt es mehrere. Einer davon lautet Community Policing, oder anders ausgedrückt: Die Polizei sucht Partner, und versucht in Kooperation mit anderen Institutionen und Migrantenvereinen diese „als Instanzen sozialer Kontrolle ins Boot zu holen“. Nach dieser Prämisse hat zum Beispiel der Abschnitt 54 in Neukölln ein Moscheenprojekt gestartet (siehe Text unten). Vorreiter für das Community Policing in Berlin war der Abschnitt 41 in der Gothaer Straße in Schöneberg. „Das bahnbrechende Konzept“, wie es gestern auf dem Podium lobend hieß, war 1997 von dem dortigen Präventions- und Ermittlungsteam unter Führung von Polizeihauptkommissar Henry Maiwald aus der Taufe gehoben worden.
Im Juli 2003 hat sich Polizeipräsident Glitsch dafür stark gemacht, dass sämtliche Polizeiabschnitte einen eigenen Präventionsbeauftragten bekommen sollen. Im Frühjahr diesen Jahres wird ihnen ein Verkehrssicherheitsbetreuer zur Seite gestellt. Denn ein Problem, das sich engagierten Präventionsbeauftragten immer wieder in den Weg stellt, ist das nach wie vor in der Behörde vorhandene Spartendenken. „Verkehrssicherheitsbetreuer und Präventionsbeauftragte Wand an Wand“, so der Kriminaldirektor Winfried Roll gestern, „das ist schon ein großer Erfolg“. Roll, der lange Zeit die kriminalpolizeiliche Beratungsstelle geleitet hatte und im März in Ruhestand geht, gilt in der Berliner Polizei als Synonym für Prävention schlechthin.
Als positives Beispiel für die Auflösung des Spartendenkens gilt das Präventionstheater des Polizeiabschnitts 22. Die Theatergruppe führt für 60- bis 90-Jährige allein lebende alte Menschen einmal im Monat ein Theaterstück über Trickdiebstahl und Betrugsmethoden auf. Wenn die Rentner zu Hause abgeholt werden, fährt ein Verkehrssicherheitsbetreuer mit und berät sie während der Fahrt über verkehrssicheres Verhalten: Zum Beispiel, dass sie in dunklen Winternächten am besten helle Kleidung mit Reflektoren auf der Straße tragen sollten. Auf der Rückfahrt nach dem Theaterstück erfolgt dann „noch eine zweite Besohlung“ im Verkehrssicherheitsbereich.