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Archiv-Artikel

„Das Kunstwerk auflösen“

Mit Klang-Installationen und CDs untersucht Carsten Nicolai die Grenzen zwischen Kunst, Pop und Wissenschaft. Jetzt sind seine Arbeiten in einer großen Retrospektive der Frankfurter Schirn zu sehen

Interview HARALD FRICKE

taz: Herr Nicolai, was ist Ihr Lieblingsklang?

Carsten Nicolai: Ich mag Number Stations, bei denen Zahlencodes auf Mittel- und Kurzwelle angesagt werden. Das sind versteckte Informationen, die die Imagination anregen.

Sie selbst benutzen Radioteleskope, Faxmaschinen und Magnetspintomographen zur Klangerzeugung. Warum diese musikfremden Geräte?

Ich habe mich immer mit der Physik von Sound auseinander gesetzt. Die ersten Tonerzeuger, die ich benutzt habe, waren Oszillatoren. Sie wurden zu Beginn der Neunziger an der Universität ausgemustert, als die Fakultäten mit neuen digitalen Testgeräten bestückt wurden. Mich haben damals vor allem Frequenzen interessiert, die außerhalb unseres Wahrnehmungsbereichs liegen – weit über 20.000 Hertz. Das würde mit normalem Audio-Equipment gar nicht funktionieren. Ich wollte herausfinden, ob wir diese hohen Frequenzen anders als durch das Hören wahrnehmen.

Trotzdem sind dabei wieder Klänge herausgekommen?

Ich wollte Sound noch mal von den Grundlagen her denken. Was ist Klang? Was ist eine Schwingung? Bei dieser Beschäftigung mit hohen Frequenzen kamen schnell Überlegungen hinzu, wie generell mit Schwingungen kommuniziert wird, also Radiowellen, Nachrichtenübertragung et cetera.

War es nicht auch ein Vorteil, dass mit Techno in den Neunzigerjahren das Interesse an elektronischer Musik gestiegen ist?

Auf jeden Fall. Plötzlich wurde die Beschäftigung mit Elektronik wieder aktuell, plötzlich kam eine viel jüngere Generation hinzu, die sich für solche Sounds begeisterte. Viel wichtiger war aber, dass mit der Musik neue Netzwerke aus kleinen Schallplattenlabels entstanden, über die man jenseits von hohen Auflagen kommunizieren konnte. Das galt vor allem für experimentellere Musik, die außerhalb des klassischen Dancefloors lag.

Sie haben die Produktionsbedingungen als ‚ökonomischen Gegenentwurf‘ bezeichnet.

Natürlich ist die Arbeit am Computer ideal für solche Vorhaben. Er ist ein frei konfigurierbares Werkzeug, bei dem man jeden Tag neu entscheiden kann, was man damit arbeiten will. Für unser Label Raster-Noton war diese Entwicklung eine echte Chance, so konnten wir eine Ministruktur aufbauen, ohne unter den Zugzwang von Major-Plattenfirmen zu geraten. Man brauchte nicht auf Profite zu setzen, die Nullrechnung reichte.

Ihr Label heißt im Untertitel „Archiv für Ton und Nichtton“, das Wort „Musik“ kommt dabei gar nicht vor.

Wir wollten mehr sein, wir wollten einen Raum für Kreativität schaffen, die CDs waren nur ein Mittel zum Zweck. Es ging um Zusammenarbeit und Austausch von der Anfangsidee bis zum fertigen Produkt, das auch ein Buch oder ein Realtimevideo sein konnte.

Für die Zeitschrift „de:bug“ gelten die Veröffentlichungen als Popentwurf. Sind Sie eine Factory?

Na ja, vermutlich sind wir sehr viel weniger chaotisch als die Factory von Andy Warhol. Aber irgendwann haben wir gemerkt, dass wir mit unseren Experimenten einige Impulse nach außen gegeben haben, die dann im Zuge von Clicks ’n’ Cuts in poppigere Produktionen eingegangen sind, die ich unter dem Namen alva.noto veröffentlicht habe. Mir war zudem klar, dass man mit Rhythmus mehr Aufmerksamkeit erzeugt als mit reinem, purem Klang.

Wo endet die Musik und wo fängt die Kunst an, wenn man mit Bits und Daten arbeitet?

Im Kunstkontext denke ich nicht musikalisch, da geht es oft um Dinge, die sich allein über den Sound erschließen, ohne irgendeine Melodie oder einen Rhythmus. Dazu gehört die Forschung, was Klang mit uns macht und was wir mit Klang machen können. Kann ich aus Sound Bilder generieren? Kann ich damit ein Kraftwerk bauen? Kann ich damit Wäsche waschen? Solche Fragen lassen sich in der Kunst viel einfacher darstellen als in der Musik, das hat schon Künstler wie Nam June Paik oder Gary Hill in den Sechzigerjahren beschäftigt.

Warum interessieren sich mittlerweile Museen für Klanginstallationen und Soundart?

Der Erfolg liegt darin, dass es nicht mehr als Soundart bezeichnet wird, sondern wie jede andere Kunstform auch behandelt wird. Der produktive Output von Künstlern reicht heute in alle Medien, vom Video bis zur Komposition, von reinen Spracharbeiten bis zum Tafelbild. Die Kategorisierung als Klangkunst hat der Sache nicht geholfen, sie hat die damit arbeitenden Künstler in den 70er-Jahren eher isoliert, so dass sie fast 20 Jahre aus den Museen verschwunden waren.

Heute ist man da offener?

Wer mit Sound arbeitet, bleibt auf einer immateriellen Ebene, ohne visuelle Produkte. Es gibt kein System, das den Künstler ökonomisch schützt – Geld verdient man mit Klangkunst nicht, da muss man weiterhin verkaufbare Dinge produzieren oder man geht in die Forschung und Lehre, aber das sind dann eher wieder die Nischen. Es gibt eben kaum Sammler, die sich ein Sound-Piece kaufen.

Ihre Klanginstallationen sind technisch sehr aufwändig. Sind diese Arbeiten echten Laborsituationen nachempfunden oder dienen sie als Bühne für das Crossover von Pop und Wissenschaft?

Pop in seinem schlechtesten Sinne ist eine Kulisse, dagegen versuche ich schon, so solide wie möglich zu sein. Bei meinen Installationen gibt es nicht bloß eine Vorderseite, auf der man die Phänomene bestaunen kann, sondern auch eine Rückseite, auf der man sieht, wie es gemacht ist. Es gibt eine ganz klare Entscheidung: Ich will nichts verbergen. Dann wird auf einmal jedes Detail wichtig, dann gehört selbst ein Stromkabel zum Gesamtaufbau, weil es ein wesentlicher Bestandteil für das Gelingen der Installation ist.

In Ihren Ausstellungen züchten Sie Schneekristalle und bringen Milch mit Bässen in Wellenbewegung. Was interessiert Sie an solchen Prozessen?

Da ist etwas, was ich schon immer auflösen wollte: nämlich das klassische, solide, das schwere und mächtige, sinnstiftende und aussagegebende Kunstwerk. Deshalb ziehe ich mich zurück und zeige den Aufbau, da braucht es weder eine künstlerische Handschrift noch ein konkretes Ergebnis. Stattdessen zeige ich relativ nüchtern all das Equipment, das nötig ist, um zu experimentieren. Wenn man sich darauf einlässt, kann man aber auch eine skulpturale Qualität spüren.

Tatsächlich?

Für mich ist ein Teilchenbeschleuniger oder ein Neutrinoteleskop ein technisches Objekt, das aber auch eine skulpturale Wirkung hat. Vielleicht ist der ästhetische Wert sogar noch höher, weil dieses Objekt zudem eine Funktion besitzt. Das ist für mich ein absoluter Reiz, deshalb habe ich in den letzten Jahren außergewöhnliche und sehr frühe Röntgen-Glühbirnen gesammelt. Sie haben eine klare Funktion und sie entwickeln eine eigenartige Schönheit, bei der man am Ende sagt: Ja, es stimmt. Eine Glühbirne ist in sich stimmig, sie ist ein Glaskörper mit einem metallenen Faden, der leuchtet, und jeder weiß, warum.

Mit solchen Phänomenen und wie sie funktionieren haben sich bislang eher Ingenieure beschäftigt, nicht Künstler.

Das gefällt mir sehr gut, dieser Vergleich mit dem Ingenieur. Das ist ein bisschen untergegangen in unserer überbildeten Gesellschaft, in der jeder gleich Architekt sein will. Dabei sind Ingenieure als technische Verwalter zwar nicht die großen Kreativen; aber sie zeigen einem, dass man die innere Struktur erst begreifen muss, um weiterzukommen. Kein Architekt kommt um das ingenieursmäßige Wissen über Statik herum, so ähnlich sehe ich das auch für die Kunst.

Sie arbeiten mit der Galerie Eigen + Art, die in den vergangenen Jahren die Neue Leipziger Schule weltberühmt gemacht hat. Empfinden Sie diese Begeisterung für Malerei nicht als Rückschlag?

Ach, da bin ich eher entspannt. Als Menschen brauchen wir ständig Wechsel, dann wird das Verlangen nach Romantik oder dem echten Bild groß. Danach kann man ja immer wieder an eine Auflösung solcher Formen gehen. Ich sehe das wie eine Welle, es kommt, es geht wieder, und es kommt wieder, immer so weiter. Das ist eine Schwingung – das eine schwingt ab, das andere schwingt sich auf.