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Archiv-Artikel

„Es geht um Jesu Rückkehr“

INTERVIEW DANIEL HAUFLER

taz: Herr Strozier, die Republikaner dominieren mehr denn je beide Häuser der Kongresses, George W. Bush hat so viele Stimmen wie kein Präsident vor ihm gewonnen. Haben die Demokraten auf absehbare Zeit eine Chance, wieder an die Macht zu kommen?

Charles Strozier: Sicher, wenn auch nicht bei den nächsten Wahlen, denn im Augenblick ist die Partei desorientiert und hat keine charismatische Führung. Wir sollten jedoch im Blick behalten: die Rechten haben keinen Erdrutsch-Wahlsieg errungen. Diese Nation ist nach wie vor zutiefst gespalten. Die Demokraten können es auf mittlere Sicht wieder schaffen. Da bin ich Optimist.

Bushs Macht gründet auf einem seltsamen Bündnis zwischen den christlichen Fundamentalisten und Neokonservativen, also zwischen Moralisten, die im wesentlichen an den „values“ Familie, Religiosität und sittliches Leben interessiert sind – und politischen Machtstrategen, die mit einem Masterplan die Welt nach ihren Vorstellungen gestalten und damit auch kontrollieren wollen. Wer benutzt da eigentlich wen für seine Interessen?

Das ist in der Tat die Frage. Tatsächlich manipulieren sie sich gegenseitig. In den Medien wird fälschlicherweise immer betont: Die Fundamentalisten lassen sich von den Neocons manipulieren. Diese Sicht hat einen gern übersehenen antisemitischen Subtext, denn die meisten Neocons sind konservative jüdische Intellektuelle. Auf der einen Seite hat man so gesehen arglistige, böse, hinterhältige Juden …

also Leute wie Paul Wolfowitz, den stellvertretenden Verteidigungsminister …

Er und andere gelten als „Gehirn“ von Präsident Bush, der als der ultimative christliche Tollpatsch hingestellt wird. Doch diese Sicht ist viel zu einfach. Genauso wie sie ihn benutzen, benutzt er auch sie. Er hat erkannt: Diese Leute haben eine kohärente Philosophie, ein Programm. Und das kann er gut gebrauchen. Er hat kein Programm, stimmt aber mit den meisten Vorstellungen der Neocons überein. Sie erlauben es ihm, seine Ziele, Abschaffung der Homoehe und die Steuerreform, mit dem Gedanken des Imperiums zu verknüpfen.

Ist der Irakkrieg dann das beste Beispiel für diesen gegenseitigen Nutzen?

So ist es. Bush wurde von den Neocons in den Irakkrieg geführt. Sie wollten ihr Programm umsetzen – und Bush wollte wie Lincoln oder Roosevelt ein großer Kriegspräsident werden.

Mit dem neokonservativen Weltverbesserungsprojekt steht es nicht zum Besten, während fundamentalistische Anliegen – etwa Abtreibungen verhindern oder christliche Werte fördern – fast erreicht sind. Wie lange kann diese Koalition unter diesen Umständen Bestand haben?

Es ist eine sehr fragile Koalition. Sie müssen sehen, von Anfang des 20. Jahrhunderts bis Mitte der Siebzigerjahre waren die christlichen Fundamentalisten politisch weitgehend abstinent. Erst durch die Abtreibungsdebatte mischten sie sich ein und gewannen großen Einfluss. Dennoch glaube ich nicht, dass sie ihr Engagement noch lange fortsetzen.

Was sollte sie dazu veranlassen, ihre Macht aufzugeben?

Ihr apokalyptisches Denken. Die christlichen Fundamentalisten glauben schließlich, dass das Ende der Welt naht, das Ende des menschlichen Experiments. Die Apokalypse ist ein grausames Ende – und der Beginn von Gottes Zeit, ausgedrückt in der Heimkehr Christi. Fundamentalisten sind zwar seit 30 Jahren sehr an Politik interessiert, aber politische Partizipation war für sie immer eine ambivalente Sache. Sie machen sich zwar Sorgen über Moral, Glauben und Gebet, Schöpfung, Abtreibung und Homoehe. Worum es ihnen aber eigentlich geht, ist die Rückkehr von Jesus. Das ist der Grund, warum sie sich für Israel engagieren. Man kann die amerikanische Außenpolitik nur verstehen, wenn man die christlichen Fundamentalisten versteht. Die USA schützen Israel nicht in erster Linie, weil es eine starke jüdische Lobby gibt, sondern weil die Fundamentalisten im heiligen Land die Rückkehr Jesu erwarten. Das ist ihnen wirklich wichtig.

Von ihrem Rückzug aus der Politik ist derzeit noch nicht viel zu erkennen. Im Gegenteil: Ihr Einfluss ist gerade in den letzten Jahren auf erschreckende Weise gewachsen.

Aber gerade weil sie erfolgreich sind, werden sie sich bald aufs Wesentliche konzentrieren. Denn: Sie können damit rechnen, dass ein bald konservativ besetzter Supreme Court seine positive Entscheidung zur Abtreibung aus dem Jahre 1973 revidiert.

Ein Rollback dürfen sie sich auch bei der Homoehe erhoffen. Das ist sogar von größerer Bedeutung: Das Thema Homoehe hat die Leute schließlich dazu motiviert, Bush zu wählen. Besonders aufgebracht hat sie der Bürgermeister von San Francisco, weil er Homosexuelle verheiratet hat. Überspitzt gesagt: Mit jeder dieser Hochzeiten haben die Demokraten in konservativen Staaten eine halbe Million Wähler verloren.

Haben deshalb auch fast 80 Prozent der republikanischen Wähler gegen ihre sozialen Interessen und für Steuergeschenke an die Reichen gestimmt?

Vor allen Dingen deshalb und aufgrund der anderen „Werte“.

Aus der Bibel ließen sich aber auch soziale Werte ableiten, wie sie etwa in der katholischen Soziallehre formuliert sind. Wäre das eine Chance für die Demokraten?

Na ja, das hat Kerry versucht, und es ist ihm nicht gelungen, obwohl die soziale Ungleichheit viel größer als in Europa ist. Bushs Steuerreform hat dazu wesentlich beigetragen. Auf mittlere Sicht könnte sich das ändern. Die Leute werden nicht auf ewig gegen ihre ökonomischen Interessen wählen – nicht einmal in den USA. Warten wir mal ab, bis sich viele von Bushs armen Wählern in den Schlangen vor den Suppenküchen wiederfinden. Dann merken sie hoffentlich, dass sie von den Republikanern verarscht worden sind.

Bush plant in seiner zweiten Amtszeit aber weitere Steuerkürzungen. Der Staat hat so immer weniger Geld. Keine nachfolgende Regierung kann dann noch Sozialpolitik finanzieren. Zerstört Bush nicht auf lange Sicht die Handlungsfähigkeit des Staates?

Bush hat die Grenzen seiner Politik schon erreicht. Er hat drei Ziele verfolgt: Kulturelle Haltungen verändern, Beispiel Homoehe; Krieg führen, um ein Empire zu begründen; und Steuern kürzen. Mit Blick auf die zweite Amtszeit glaube ich, dass bei den Steuern ein Limit erreicht ist, ebenso bei der Kriegsführung. Das zeigt uns der Irak jeden Tag. Er hat keine Ressourcen mehr und keinen Entwurf, wie es weitergehen soll. Und ein Verfassungszusatz gegen die Rechte von Homosexuellen ist doch abwegig.

Anders als die Demokraten haben die Konservativen klare Vorstellungen und eine stabile Basis. Sie wird offenbar sogar breiter – dank christlicher Fundamentalisten aus der gehobenen Mittelschicht. Ist das auch Ihr Eindruck?

Allerdings. Das fiel mir schon vor über zehn Jahren auf. Damals recherchierte ich für ein Buch über die Fundamentalisten – und zwar in Gemeinden der noblen Upper East Side von New York. Die Leute kommen da mit ihren Mercedes an, tragen 1.000 Dollar teure Anzüge und schicke französische Hemden. Und dann sprechen sie im Bibelkreis über Demut und Gnade. Sie hören Prediger, die sagen: Es ist in Ordnung, reich zu sein, wenn man dem Herrn dient. Natürlich gibt es auch Fundamentalisten in den armen, ländlichen Regionen, aber typisch für das neue Amerika ist: Der Fundamentalismus ist mittlerweile eine Sache der reichen, weißen Vorstädte. Wirklich virulent wurde diese Tendenz bereits unter Präsident Ronald Reagan in den Achtzigern. Von diesem fundamentalistischen Potenzial hat er enorm profitiert.

Existiert in den USA nicht eine strenge Trennung von Staat und Kirche, auf die gerade Religiöse Wert legen sollen?

Nein, diese Trennung lag eher den Säkularen am Herzen. Wenn Fundamentalisten den Staat übernehmen könnten, würden sie es machen. Nun, sie streben keinen theokratischen Staat an, denn prominente Prediger wie Jerry Falwell oder Ralph Reed sind keine Chomeinis. Aber dass die Grenzen zwischen Staat und Kirche verwischen, kann ihnen nur nutzen – gerade weil sie bei Themen wie Abtreibung oder Homoehe mehr Einfluss wollen.

Seit den 80er-Jahren engagieren sich die Fundamentalisten auch zunehmend bei anderen Themen, etwa Erziehung und Steuern. Sie wollen als religiöse Menschen definieren, was eine christliche Gesellschaft ist. Diese ambitiöse Einstellung nimmt seit Reagans Amtszeit dramatisch zu. Selbst unter Bill Clinton gewannen die Fundamentalisten deutlich an Boden, da hat man es nur weniger beachtet. Und heute ist George Bush für sie der ideale Führer.