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Archiv-Artikel

Sabotage in letzter Minute

Kunstharzpuppen – groß in Mode: die Ausstellung „Dressing Ourselves“ in Mailand

Kunstharz ist ein Material, das Fragen aufwirft. Zum Beispiel: Wird daraus automatisch Kunst? Die Macher der Ausstellung „Dressing Ourselves“, die nun in Mailand zu besichtigen ist, haben sich diese Frage nicht gestellt. Sie beschlossen, 30 Outfits – skizziert von international mehr oder weniger bekannten Künstlern, Architekten, Musikern und Designern – an lebensgroßen Puppen aus ebendiesem Stoff zu präsentieren.

„Schlüsselpersonen aus der Kunstwelt entwerfen und tragen ihre eigenen Modevisionen“, so lautet die Unterzeile zur Ausstellung. Kein uninteressantes Projekt, zumal kein einziger der Beteiligten – unter anderem Architektur-Star William Alsop und Jazzmusiker Jimi Tenor – Experte auf dem Gebiet der Mode ist.

Pünktlich zu den Mailänder Herrenmodeschauen wirken die Kunstharz-Nachbildungen im Museum Triennale di Milano nun allerdings, als seien sie von gelangweilten Schülern im Kunstunterricht modelliert worden: die Hände ein wenig plump, die Gesichtszüge wulstig, nicht gerade sexy. Tatsächlich waren es Studenten der Mailänder Nuova Accademia Di Belle Arti, kurz Naba, die da modellierten. Es muss also am Harz liegen.

Konzipiert wurde die Ausstellung von Alessandro Guerriero, dem Gründer des in den 70er-Jahren bekannt gewordenen Studio Alchimia, einer Designgruppe, die Romantik propagierte und dem schrillen Memphis-Look den Weg bahnte. Einige der Wunschkandidaten, Videokunst-Veteranin Laurie Anderson zum Beispiel oder Architekt Frank Gehry, zeigten dennoch kein Interesse an einer Teilnahme.

So ist im Triennale di Milano nun Professor Bad Trip zu bestaunen, ein in Italien geschätzter Künstler, der mit quietschigem Techno-Chic inklusive Staubsaugerschlauchgewirr um Hals und Oberkörper seinem Namen alle Ehre macht. Gleich nebenan Arbeiten, die auch in einer Sammlung zum Thema „Altherrenfantasien“ gut aufgehoben wären: Memphis-Veteran Ettore Sottsass präsentiert sich in einem knatschgelb-violetten Catsuit-Frack mit stattlichem Suspensorium im Schritt. Gegenüber wünscht sich Enzo Cucchi in einen SM-Anzug mit gleich zwei am rechten Handgelenk befestigten Dildos – sicher ist sicher. Und draußen am Eingang steht Kurator Guerreiro selbst, in einem Pyjama, der mit allerhand Gesichtern bedruckt ist – vermutlich seine Freunde und Freundinnen. Nie wieder allein im Bett, immerhin.

Ob diese „dreidimensionalen Selbstporträts“, die sich im Triennale di Milano leider nur frontal begutachten lassen, dem Anspruch Guerreiros gerecht werden, die Stellung der Kleidung in der Gegenwart zu reflektieren, ist fraglich – vor 20 Jahren hätten sie genauso skizziert werden können. Den Link zum Hier und Heute schaffen da die kroatischen Architekten Penezic & Rogina schon besser: Sie bekleben Mao Tse-tung mit Nullen und Einsen. Willkommen im Digital Age. Zwar kein Selbstporträt der Architekten, dafür aber ein Verweis auf das wirtschaftliche Erstarken des Textilproduktionsstandorts China. Was Kleidung überhaupt ist, das analysieren zwei Musiker am gründlichsten: Bardi Johannson, Kopf der isländischen Formation Bang Gang, stellt sich einen Hund zur Seite, der seine Gesichtszüge trägt. Das Haustier als Ego-Verlängerung und Teil des Outfits – Rudolph Moshammer und die Jacob Sisters lassen grüßen. Antony, ein von David Bowie und Lou Reed geschätzter Sänger aus New York, zeigt sich im Ausstellungskatalog hingegen mit Fuchskopf auf einem nackten Kunstharz-Adonis – der weitaus radikalste Beitrag, stellt er doch die Frage, warum Kleidung überhaupt den Körper verstecken und den Kopf nackt lassen muss.

Im Museum selbst ist Antony dann allerdings kaum wieder zu erkennen: Zwei Tage vor Eröffnung habe der Sänger seinen Entwurf komplett über den Haufen geworfen, hieß es am Montag. Die Naba-Studenten habe er angewiesen, den Fuchskopf unter einer Mütze verschwinden zu lassen, den Kunstharzpenis zu entfernen und dafür die Brüste aufzupumpen. Last Minute Sex Change. Und: Last Minute Sabotage. Denn mit dieser „Korrektur“ provoziert Antony eine im Mode- und Kunstbetrieb gefürchtete Katastrophe: das Nichtübereinstimmen von Katalog und Produkt bzw. Exponat. Individueller könnte Kleidung kaum werden. Während der New Yorker mit dieser Revision das Kunstharz-Elend der Ausstellung ein wenig mildert und den Exhibitionismus, der auch einige andere Figuren auszeichnet, intellektuell unterfüttert, träumt Kurator Guerriero schon davon, „Dressing Ourselves“ durch die ganze Welt wandern zu lassen. Nach New York, London und Tokio soll es mit den Puppen gehen. Unterwegs möchte er weitere „Schlüsselfiguren“ dazu animieren, Skizzen ihrer Modevision einzureichen.

Laurie Anderson und Frank Gehry könnten also durchaus noch zum Zuge kommen. Für einen Anruf bei Madame Tussaud wäre es dann auch noch nicht zu spät. Oder für die Einsicht, dass Skizzen alleine auch schon ansehnlich sind. JAN KEDVES

„Dressing Ourselves“, La Triennale di Milano, bis 20. März, www.triennale.it