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Archiv-Artikel

Neonazis vor der Tür

ÜBERGRIFFE Rechtsextremisten haben versucht, die Bewohner des alternativen Projekts „Dampfziegelei“ in Kiel einzuschüchtern. Bei einer Party bauten sie sich vor der Einfahrt auf – die Polizei ließ auf sich warten

Rechte Szene in Kiel

Der Verfassungsschutz beobachtet die Lage in Kiel mittlerweile „mit Sorge“.

■ NPD und „Aktionsgruppe Kiel“ treten seit Mitte 2008 verstärkt in Erscheinung, die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt haben sie zur „Frontstadt“ erklärt.

■ Auf der Website der „Aktionsgruppe“ steht der Leitspruch: „Deutsche Intifada – autonom und militant“. Sie erklären, als „Werwolfeinheiten“ agieren zu wollen, und loben den Anschlag auf das Wohnprojekt.

■ Die Wik will die Aktionsgruppe als ihr „Revier“ markieren. An den Straßenlaternen kleben Aufkleber mit dem Text: „National befreite Zone durchsetzen“. AS

VON ANDREAS SPEIT

Kein Tor versperrt den Zugang, kein Zaun grenzt das Grundstück ab. Vor den Fenstern des Wohnprojekts „Dampfziegelei e.G.“ sind keine Rollläden. Hier in der Wik, am Stadtrad von Kiel, suchen die Bewohner ein offenes Miteinander. Bunt, sozial und kreativ geht es auf dem Grundstück zu. „Das wollen wir uns auch nicht nehmen lassen“, sagt Bewohner Ulrich Selle. Trotz des Naziübergriffs von Samstagnacht.

Zunächst, berichtet Genossenschaftsmitglied Michael Stalder, seien drei Gäste des Wohnprojekts im nahen Familia-Supermarkt von Neonazis bedroht worden. „Als sie den Supermarkt verlassen wollten, erwarteten sie eine schwarz gekleidete, zehnköpfige Nazi-Gruppe, bewaffnet mit Baseballschlägern. Glücklicherweise konnten sie flüchten“ erzählt er.

Das war um 19 Uhr. Am späteren Abend spitzte sich die Situation zu. „Bei uns fand eine Geburtstagsfeier statt“, berichtet Nils Cordruwisch. Gäste erzählten, dass sie bei der Herfahrt von Neonazis fotografiert worden seien. Dann stellte sich heraus, dass sich eine Nazigruppe an der Zufahrt aufgebaut hatte. Gegen 23 Uhr versuchte die Gruppe ein Auto zu stoppen. „Für uns war nicht absehbar, wozu die Nazis noch fähig sind. Wir hatten Angst“, sagt Cordruwisch.

Er rief beim nächsten Polizeirevier an. Dort versprach man, eine Streife zu schicken. „Nach 15 Minuten rief die Polizei zurück und meinte, es sei kein Wagen frei, es werde keine Polizei kommen.“ Erst nach über einer Stunde seien Polizisten da gewesen – in der Zwischenzeit hätte Schlimmes passieren können.

„Nein, so ist das nicht korrekt“ sagt Jürgen Börner, Kieler Polizeisprecher. „Genau 24 Minuten“ später seien seine Leute vor Ort gewesen. Nach dem Anruf sei die Situation als „Streit“ eingestuft worden, man hätte von da an im „üblichen Zeitfenster“ reagiert. Der Rückruf der Polizei im Wohnprojekt lasse sich jedoch nicht mehr verifizieren – an jenem Tag sei wegen der Rechten „öfter was“ gewesen.

Sein Eindruck sei, dass sich „links und rechts“ gegenseitig aufschaukelten, sagt Börner. Das Wohnprojekt sei allerdings stadtweit als alternatives Projekt bekannt, wo man günstig wohnen könne, und nicht als „linksradikales Zentrum“. Seit Mai 2009 leben 34 Menschen, davon 12 Kinder, in dem Verwaltungsgebäude der Dampffabrik von 1836 und den zwei Neubauten. Das Projekt ist von einem Förderprogramm des schleswig-holsteinischen Innenministeriums unterstützt worden. Einen Umweltpreis haben sie erhalten, gerade retten sie Mauersegler. Doch seit vergangenem Samstag ist die Stimmung angespannt. „Man merkt das die Erwachsenen sich so Gedenken machen“, sagt Trixi, 13 Jahre alt.

Die alternative Lebensform stört die Neonazis in Kiel schon länger. Bereist im April 2008 flogen nachts Steine in eines der Kinderzimmer. „Gott sei dank ist das Kind nicht verletzt worden“, sagt die Mutter. Ein Nachbar sagt, er wolle sich ja nicht solche Gedanken manchen, nur: „Mir fiel auf: Mensch, wir haben gar keine Vorhänge, die notfalls Steine und Glassplitter abfangen könnten.“ Einer der Bewohner sagt, er sei schon aus rassistischen Motiven angegriffen worden. „Auf dem Nachhauseweg schaue ich mich jetzt doch aufmerksam um.“

Seit Monaten sucht die Kieler rechte Szene verstärkt die Konfrontation. Vor wenigen Wochen zogen gut zweihundert Meter entfernt von dem Wohnprojekt Neonazis in ein Haus. Zwei Wohnungen mieteten sie an, seitdem bekommen sie regelmäßig Besuch von Kameraden. „Mit ihren Kampfhunden laufen die hier rum“, sagen Nachbarn.

Jetzt will sich das Wohnprojekt noch mehr mit den Nachbarn kurzschließen. „Wenn die Nazis aber glauben, wir denken nur an sie, irren die sich“, sagt eine Frau. Von „denen“ möchten sie sich nicht bestimmen lassen.