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Archiv-Artikel

Nicht nur eine Schraube locker

Alzheimer im Alter ist ein Massenphänomen. Kenneth Lonergans Stück „Meschugge“ zeigt, wie eine Familie mit dem Verfall des geliebten Menschen umgehen kann. Es hatte im Schauspiel Essen seine Deutschland-Premiere

Für die alte Dame haben alle eine Schraube locker: Ihre Tochter Ellen, ihr Vermieter George, oder der Künstler Don. Alle außer ihr natürlich – sie nennt es meschugge. “Weißt du was das heißt?“, fragt die ehemalige New Yorker Anwältin und Galeristin Gladys Green ihren Enkel Dan. Der ist genervt, da er diese Frage schon zum -zigsten Mal hört. Auch wie er seine Wohnung eingerichtet habe, fragt sie ihn ständig – dabei leben beide doch lange im selben Haus.

Kenneth Lonergan, preisgekrönter New Yorker Bühnen- und Drehbuchautor und auch bekannt durch sein Drehbuch zu Scorseses „Gangs of New York“, schrieb „Meschugge“, das im Schauspiel Essen seine Deutschland-Premiere feierte. Seine Gladys stammt aus dem jüdischen Milieu von Greenwich Village und ist Exzentrikerin par excellence. Einst hat die aktive Dame jedem helfen können, jetzt wird ihr außergewöhnlicher Charakter langsam von der nahenden Demenz überschattet. In unserer Gesellschaft – vom Schönheits- und Jugendwahn befallen – wird Altern und Verfall zunehmend ausgeblendet, obwohl Alzheimer ein Massenphänomen ist. Gekonnt führt Lonergan vor, wie eine Familie mit dem Persönlichkeitsverlust des geliebten Menschen umzugehen hat. Wie hart und ausweglos es ist, zu beobachten, wie das Gehirn zerfällt, während der Körper noch absolut fit ist und der Kranke zunehmend in seiner irrealen Welt versinkt. „Falls ich auch mal so werde, dann schieß mir eine Kugel in den Kopf“, ruft Ellen ihrem Sohn Dan hysterisch zu.

Während das Bühnenbild mit Tisch, Stühlen und einer Wand auskommt, liegt die Hauptlast der Inszenierung auf den Schauspielern. Die Rolle von Gladys Green ist die schwierigste. Ute Zehlen spielt sie am Anfang etwas zu affektiert, wird im Laufe des Stückes aber immer authentischer. Am Ende ist sie tatsächlich nur der Hauch der einst eleganten Exzentrikerin, die jetzt wie ein Häufchen Elend vor sich hin murmelt. „Meschugge“ balanciert gekonnt zwischen Familienkomödie und Altersdrama. So kann man sich dem Lachen kaum entziehen, wenn Dan (Johannes Oliver Hamm) von seiner Freundin erzählt, die jeden Psychoanalytiker, bei dem sie in Behandlung war, in den Selbstmord getrieben hat. Er ist die Figur, die das Geschehen auf der Bühne und den intellektuellen Zerfall von Gladys kommentiert. Deren permanentes Geplapper wird für die Zuschauer langsam schmerzvoll und einige würden gerne wie Dan sagen: „Wir hoffen, das geht bald zu Ende.“

ERIKA RUBINSTEIN

25.01., 20:00 Uhr, StudioInfos: 0201-8122200