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Archiv-Artikel

Palästinenser streiten Waffenruhe ab

Außenminister Shaath spricht von Fortschritten bei den Verhandlungen von Abbas mit den radikalen Organisationen. Diese stellen Bedingungen an Israel für ein Ende der Anschläge. Die Armee sieht einen Rückgang der Angriffe

JERUSALEM taz ■ Fünf Tage ohne den Beschuss mit Kassam-Raketen sind für den israelischen Stabschef Schaul Mofas ein Grund für offenbar voreilige Schlüsse: Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sei mit den islamistischen Bewegungen Hamas und Dschihad zu einer Einigung über einen 30-tägigen Waffenstillstand geraten, meinte er gestern früh gegenüber dem Hörfunk „Stimme Israels“. Im Gegenzug sollen die Bewegungen an künftigen Entscheidungen der palästinensischen Führung in Ramallah teilhaben.

Der palästinensische Außenminister Nabil Shaath dementierte hingegen eine Einigung, obschon die Gespräche gut vorangeschritten seien. Auch Hamas-Sprecher Sami Abu Surhi erklärte gegenüber dem Fernsehsender al-Dschasira, dass „eine Hudna (Waffenstillstand) ihren Preis hat“. Die Bewegung werde ihre Waffen nicht ruhen lassen, bevor sich Israel zu einer Einstellung der Angriffe verpflichtet.

Berichten der „Y-net“, der Online-Ausgabe des auflagenstärksten israelischen Blattes Jediot Achronot zufolge, fanden im vergangenen Jahr durchschnittlich „60 bis 100 versuchte Terroranschläge wöchentlich statt“. Grund für die Ruhe in den letzten Tagen könnte, neben der Tatsache, dass Abbas bis gestern Verhandlungen mit den militanten Gruppen führte, das islamische Opferfest sein, das ebenfalls gestern zu Ende ging. Zudem hatte die palästinensische Führung bereits Ende vergangener Woche 3.000 Sicherheitsleute im nördlichen Gaza-Streifen stationiert.

Saib Erikat, palästinensischer Minister für Verhandlungsangelegenheiten, hofft auf eine schnelle israelische „Belohnung“ für die Ruhe im Gaza-Streifen. Die Palästinenser erwarten zunächst eine Waffenstillstandserklärung von Seiten der Armee.

Ein Ende der militärischen Invasionen, der Zerstörungen von Häusern und vor allem der so genannten präventiven Exekutionen ist die zentrale Forderung von Hamas und Dschihad. Ein Waffenstillstand kann zweifellos nur funktionieren, wenn sich beide Konfliktparteien dazu verpflichten.

Israels Vizepremierminister Ehud Olmert (Likud) erklärte im Anschluss an die Regierungssitzung, es sei zu erkennen, dass Abbas Anstrengungen zu einer Beruhigung der Situation unternimmt. Damit sei Israel dazu verpflicht, „klug zu handeln, um ihn (Abbas) auf seinem Weg zu ermutigen, anstatt ihn zu hindern“. Das Kabinett war aus Solidarität mit der Bevölkerung von Sderot, gestern in der Kleinstadt zusammengekommen, die in unmittelbarer Nähe zum Gaza-Streifen besonders schwer unter dem Beschuss mit Kassam-Raketen leidet. Der Chef des israelischen nationalen Sicherheitsrates, Giora Eiland, versprach, auf die Ruhe zu reagieren. „Solange kein Grund für bestimmte Operationen besteht, werden wir sie nicht vornehmen.“ Dessen ungeachtet bestehe Israel weiter darauf, dass Abbas die militanten Gruppen entwaffnet.

Premierminister Ariel Scharon betonte, dass die Regierung die Entwicklungen scharf beobachte: „Wenn der Terror wieder aufgenommen wird, dann wird Israel, entsprechend der Kabinettsentscheidung, alles tun, um die Angriffe auf Sderot, den Negew und die Gemeinden im Gaza-Streifen zu unterbinden.“

Der Terrorexperte Mosche Elad von der Universität Haifa vermutet, dass die Berichte über ein Waffenstillstandsabkommen der Wahrheit entsprechen, allerdings sei die Veröffentlichung kontraproduktiv. Offenbar hofften die Widerstandsgruppen nicht zuletzt mit Blick auf die eigenen Aktivisten, die den Kampf fortsetzen wollen, dass Israel den ersten Schritt tut, bevor sie sich selbst zu einer Einstellung der Gewalt bereit erklären würden. Elads Informationen zufolge ging es bei der Einigung zwischen Abbas und den islamistischen Bewegungen nicht nur um Mitspracherecht, sondern auch „größere Geldsummen“, die die Autonomiebehörde an Hamas und Dschihad für „erlittenen Schaden“ zahlen solle. „Die Veröffentlichung über eine Einigung wirft die Verhandlungen an ihren Anfang zurück“, meinte Elad gegenüber der „Stimme Israels“. Die Widerstandsbewegungen „werden ihre Forderungen künftig noch höher ansetzen“. SUSANNE KNAUL