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Schnurlose Dauerbelästigung

Mobil telefoniert wird in Berlin scheint’s fast immer und überall: im Schulunterricht, im Auto, in der U-Bahn und im Restaurant. Dabei gilt auch für Handyverbote allzu häufig: Sie sind vor allem dazu da, ignoriert zu werden

Im Zoo darf man. In öffentlichen Verkehrsmitteln und im Schwimmbad auch. In der Schule nicht, am Steuer nur mit besonderer Technik. Restaurants, Kneipen und Arztpraxen halten es unterschiedlich: Telefonieren mit dem Handy. Laut dem Bundesamt für Statistik hatten rund 70 von 100 deutschen Haushalten im Jahr 2003 ein Mobiltelefon. Die Praxis hat gezeigt: Der Berliner hält es mit dem Handy genauso wie mit der Hundekotverordnung – treu nach dem Motto: Verbote sind dazu da, dass sie umgangen werden.

Die Polizei kann ein Lied davon singen. Es gibt kaum einen Auto- oder Radfahrer, der sich an das so genannte Handyverbot im Straßenverkehr hält. 40 Euro Bußgeld und einen Punkt in Flensburg kostet das Telefonieren während der Fahrt ohne Freisprechanlage. Bei einer Stichprobe hat die Berliner Polizei binnen vier Stunden sage und schreibe 900 Motorisierte mit der Hand am Ohr gesehen. Das war vor zwei Jahren, geändert hat sich daran nichts. Das Entdeckungsrisiko ist relativ gering, auch wenn die Polizei bei den Ertappten inzwischen rigoros abkassiert. „Es wird nach wie vor relativ viel telefoniert“, so Joseph Poliwoda vom Verkehrsunfalldienst.

Was Schulen, Volkshochschulen und andere der Senatsschulverwaltung unterstehende Bildungseinrichtungen angeht, hat man von vornherein davon abgesehen, ein zentrales Handyverbot zu verordnen. „Das wird von den Einrichtungen eigenverantwortlich geregelt“, sagt der Sprecher der Bildungsverwaltung, Kenneth Frisse. Er gehe aber davon aus, dass Handys im Unterricht generell ausgeschaltet würden. Bei zentralen Abschlussprüfungen gibt es allerdings eine ganz klare Anweisung von oben: Mobiltelefone dürfen nicht mit in den Prüfungsraum genommen werden. „Warum soll es denen besser gehen als uns?“, fragt Frisse. „Wir mussten uns den Spickzettel früher schließlich auch auf die Hand schreiben.“

In den öffentlichen Verkehrsmitteln gibt es im wahrsten Sinne des Wortes keinerlei Tabus. „Ich wundere mich manchmal, was da so alles in aller Öffentlichkeit im voll besetzen U-Bahn-Zug am Telefon besprochen wird“, sagt BVG-Sprecher Klaus Wazlak. Nennenswerte Beschwerden habe es noch nicht gegeben. Im Gegenteil: „Die übrigen Fahrgäste hören interessiert zu.“ BVG wie S-Bahn haben die technischen Voraussetzungen für einen guten Empfang in den Tunnels eigens erst geschaffen. „Wir verstehen das als Akt der Kundenfreundlichkeit“ sagt S-Bahn Sprecher Ingo Priegnitz.

Für Restaurants gilt: Je schicker und teurer, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass mit einem Handy-Verbotsschild am Eingang um „silence“ gebeten wird. Die Kiezkneipe um die Ecke gibt sich dagegen in der Regel eher tolerant. „Das ist eine kulturelle Frage“, weiß der Geschäftsführer des Berliner Gaststättenverbandes, Peter Vogel. Auch die Schwimmbäder haben nichts gegen das Handy. Wegen der hohen Luftfeuchtigkeit rät der Chef der Berliner Bäder-Betriebe allerdings davon ab, das empfindsame Geräte mit in die Halle zu bringen. „Am Ende geht das noch kaputt.“ PLUTONIA PLARRE

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