Helden des Augenblicks

Nah genug dran? Retrospektiven in Berlin widmen sich den Fotografen Erich Salomon und Robert Capa. Der eine scheute keine Mühe, der andere keine Gefahr, um eine Situation von innen heraus abzubilden. Gute Eigenwerbung betrieben sie außerdem

VON GLORIA ZEIN

Bereits um 1920 war, wie Susan Sontag feststellte, der mit kompromissloser Entschlossenheit ausgestattete Fotograf zum modernen Helden geworden. Spätestens mit Erfindung des Rollenfilms wurde das Lichtbild zum einflussreichen Medium journalistischer Berichterstattung. Als jedoch Anfang der Siebzigerjahre die großen Bildmagazine wie Look und Life vom preiswerteren Medium Fernsehen abgelöst wurden, endete auch die Ära des glamourösen Fotojournalismus. Im Zuge der aktuellen Renaissance von Heldenepen, die uns im Kino an „Alexander“, „Troja“ oder „Das Wunder von Bern“ erinnern, wird der einst gefeierten Fotoreporter nun erneut mit veredelnden Ausstellungen in Kunstmuseen gedacht.

Zwei charismatische Autodidakten, die um 1930 die Chancen des gefragten Mediums erkannten und in doppelter Hinsicht zu nutzen wussten, werden derzeit in Berliner Retrospektiven gewürdigt: Erich Salomon, Konferenzfotograf der verlöschenden ersten deutschen Republik, und der Kriegsreporter Robert Capa hielten die Ereignisse ihrer Zeit aus nächster Nähe für internationale Zeitungen fest – und schufen so journalistisch wegweisende Bilder, die sich im kollektiven Gedächtnis verankert haben.

Beide begannen ihre fotografische Karriere mit nur geringer Zeitverschiebung in Berlin. Der promovierte Jurist Erich Salomon war bereits vierzig, als er die Fotografie für sich entdeckte. In nur sieben Jahren schuf er die für ihn so charakteristischen Milieustudien diplomatischer Kreise: Ab 1928 fotografierte er Verhandlungen im Völkerbundpalast in Genf, der zweiten Haager Kriegsschuldenkonferenz oder der Lausanner Abrüstungskonferenz. Aber auch zu Gerichtssälen verschaffte sich Salomon (meist unerlaubt) Zutritt, um seine Porträts von „Berühmten Zeitgenossen in unbewachten Augenblicken“ einzufangen. 1931 veröffentlichte er sein gleichnamiges Buch. In Europa wie den USA wurde er für seine distinguierte wie trickreiche „Methode“ gefeiert, der Prominenz ungestellte (weil unbemerkte) Ansichten abzuringen – damals ein absolutes Novum, das er selbst in zahlreichen Artikeln thematisierte.

Als ihn die Machtübernahme der NSDAP aufgrund seiner jüdischen Herkunft 1933 ins holländische Exil zwang, reduzierte sich Salomons Tätigkeitsfeld. 1944 wurde er, gemeinsam mit seiner Frau und dem jüngeren Sohn, in Auschwitz ermordet.

Sein 27 Jahre jüngerer, aus Ungarn emigrierter Kollege machte erstmals auf sich aufmerksam, als er, von der Berliner Agentur Dephot als Vertretung nach Stockholm entsandt, unbemerkt Trotzki fotografierte. Doch schon ein Jahr später musste er, wie Salomon jüdischer Herkunft, vor den Nazis nach Paris fliehen. Dort erschuf der gebürtige Endre Ernö Friedmann wegen der Marktchancen seine neue Fotografenpersönlichkeit „Robert Capa“. 1937 erschien sein gleichermaßen gefeiertes wie umstrittenes Foto eines fallenden Milizionärs „im Moment seines Todes“ in Vu, Life und Picture Post. Einerseits provozierte die Aufnahme Diskussionen über Authentizität wie ethische Aspekte von Kriegsfotografie, andererseits etablierte Capa sich mit ihr als unerschrockener Berichterstatter. „Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, dann bist du nicht nah genug dran“, war vielleicht sein berühmtester Satz.

1939 siedelte er in die USA über, für die er von 1940 bis 1945 als Kriegsberichterstatter tätig war. 1944 entstanden seine ebenfalls legendären Aufnahmen von der Landung der Alliierten in der Normandie. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete er mit David Seymour und Henri Cartier Bresson die Fotoagentur Magnum. Robert Capa umgab der Duft der weiten Welt. Wenn er nicht auf Reisen war, um Kriegsfronten zu dokumentieren, soll er Pferderennen, Champagner und Frauen geliebt haben.

1954 wollte er noch einmal beweisen, der weltbeste Kriegsreporter zu sein. Er nahm einen Auftrag für Fotoarbeiten in Nordvietnam an, wo er, nur 40 Jahre alt, von einer Landmine tödlich verletzt wurde – in jeder Hand eine Kamera, heißt es.

Wie Salomon war Capa ein engagierter Bildjournalist. Der eine scheute keine Mühe, der andere keine Gefahr, um eine Situationen gleichsam von innen heraus zu fotografieren. Selbstbewusst und pragmatisch warben beide durch Anekdoten (Salomon) oder markige Redewendungen (Capa) für ihre Qualitäten und betrieben so eine Stilisierung, die heute verehrt wie beklagt wird. Und so haben sich die Berliner Retrospektiven zur Aufgabe gemacht, die Vielseitigkeit ihrer Schützlinge zu kommunizieren.

Vor allem in der Berlinischen Galerie bemüht man sich, Erich Salomon nicht nur als den „König der Indiskreten“ zu präsentieren, wie ihn der französische Außenminister Briand einmal nannte. Aus der, dank Salomons Sohn Peter Hunter seit 1980 in Berlin befindlichen Sammlung, wurde eine liebevolle Auswahl getroffen: Neben seinen die typische Gestik der Zeit thematisierenden Milieustudien werden weniger bekannte Aufnahmen von Schiffsreisen, Konzerten oder der auf Ellis Island entstandenen Reportage gezeigt. Der Fokus dieser dicht gehängten Ausstellung soll auf die kompositorischen und ästhetischen Qualitäten von Salomons Arbeiten gelenkt werden. Dieser Ansatz ist erstaunlich, war Salomon doch stets bemüht, gestalterische Qualitäten seiner Fotografien hinter der Erschließung eines Themengebietes zurücktreten zu lassen. Als „humorvoller Pragmatiker“, wie ihn Claudia Schmölders im Ausstellungskatalog nennt, habe Salomon seinen Beruf eher aus Geldnot denn aus kunstphilosophischem Interesse ergriffen. Weder Gesellschaftsfotografie als Kunst wie August Sander noch Physiognomik als Philosophie wie Ernst Jünger habe sich Salomon jemals auf die Fahne geschrieben. Dennoch zeigt diese Ausstellung, dass seinen Aufnahmen eine bemerkenswerte Sensibilität für die Stellung der porträtierten Personen und ihr Verhältnis zu dem sie umgebenden Raum eigen ist. Die von Janos Frecot angestrengte, kompositorisch begründete Hängung nach „Zwiegespräch“, „Gruppenbilder“ oder „Sitzungen“ wirkt in diesem Zusammenhang jedoch ein wenig verkrampft.

Demgegenüber ist die beeindruckende, von der Bibliothèque Nationale de Paris konzipierte (und dort zuerst präsentierte) Retrospektive Robert Capas chronologisch-thematisch aufgebaut. Entgegen der irreführenden Wortwahl, mit der im Faltblatt der „Künstler“ Robert Capa beworben wird, würdigt ihn die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau, seinem Selbstverständnis entsprechend, als Fotojournalist und Kriegsgegner. Etwa 250 Originalabzüge seiner Aufnahmen von Auseinandersetzungen in China, Spanien, Europa, Afrika und Indochina werden um ein paar Künstlerporträts, Fotos von der Tour de France (1939) und Pilgern in Lisieux ergänzt. Seine Bildikonen reihen sich meist unauffällig in den Gesamtzusammenhang der zum Teil ergreifenden, jedoch zumeist unblutigen Reportagen vom Kriegsgeschehen. Capa wusste um die Möglichkeiten des Massenmediums Fotografie: Die Problematik der Faktizität hielt er für zweitrangig; er wollte der Welt die „tatsächliche Wahrheit der Sache“ mitteilen. Und so richtet diese Ausstellung mit einer umfangreichen Präsentation von Illustrierten und Magazinen der 30er- und 40er-Jahre ein besonderes Augenmerk auf den Kontext, für den die Fotos entstanden waren – ohne diesen jedoch zu erörtern.

Weder in der Berlinischen Galerie, die ebenfalls ein paar Originalzeitschriften zusammentragen konnte, noch im Martin-Gropius-Bau wird die Problematik von Salomons und Capas Arbeitsweise thematisiert, die aufgrund ihrer Unmittelbarkeit neben Aufklärung immer auch Voyeurismus impliziert. Grundsätzliche Fragen, inwiefern mit Fotografie Geschichte nicht nur dokumentiert, sondern auch geschrieben wird, scheinen zwar in Katalogtexten auf, nicht aber in den Ausstellungen selbst. Während Janos Frecot einen ästhetisierenden Blick auf Erich Salomon vorschlägt (diesen Ansatz in dem sehr schönen Katalog jedoch auch untersuchen lässt), bedienen Bibliothèque Nationale und Martin-Gropius-Bau den Mythos Capa – im Katalog sogar mit fast aufdringlicher Beharrlichkeit. Zwar erwähnt Thierry Grillet in einem kurzen Aufsatz Capas problematische Haltung zum Verhältnis von Wahrheit und Fiktion. Doch gleich zwei Autoren schildern sein Leben als lyrisches Epos; auf eine tabellarische Biografie wurde konsequent verzichtet. Und so beschließt denn auch ein Klagelied die Capa Retrospektive: Der letzte Ausstellungsraum zeigt einen etwas sentimentalen filmischen Abgesang auf diese wohl schillerndste Figur des Fotojournalismus.

„Erich Salomon“: Berlinische Galerie, bis 10. März. „Robert Capa“: Martin-Gropius-Bau, bis 18. April. – Das Foto auf der Seite entnahmen wir dem Band „Robert Capa – Die Sammlung“ aus dem Phaidon Verlag, Berlin 2001, 75 €, der 937 Fotografien in Duotone sowie einen Text von Richard Whelan enthält