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Archiv-Artikel

„Kommt nicht zurück!“

Am Sonntag sind Wahlen im Irak. Darüber frei zu berichten, ist für die Journalisten vor Ort fast unmöglich – vor allem aber gefährlich. Ein Erfahrungsbericht des taz-Nahost-Korrespondenten

VON KARIM EL-GAWHARY

Das Medieninteresse für die ersten Wahlen nach dem Sturz des Diktators Saddam Hussein an diesem Sonntag wird groß sein. Vor allem internationale Fernsehanstalten werden mit all ihren Möglichkeiten in Bagdad präsent sein und den Schein einer umfassenden Berichterstattung wahren. Doch die ist in Wirklichkeit schon längst nicht mehr gewährleistet. Die meisten Fernsehkorrespondenten werden lediglich von ihren Hotelzimmern zu den Kameras auf dem Dach des gleichen Hotels schreiten und nach bestem Wissen und Gewissen versuchen, die Fragen aus dem Studio zu beantworten. Vor die Tür werden sie sich kaum trauen und ihr Filmmaterial werden sie sich von irakischen Fernsehteams zuspielen lassen.

Das Risiko, selbst auf den Straßen Bagdads oder gar außerhalb der Stadt zu drehen, ist zu groß. Noch schlimmer trifft es die Zeitungsreporter. „Reporter in den Irak zu schicken ist extrem gefährlich. Wenn die Arbeitsbedingungen diktieren, das Hotelzimmer praktisch nicht mehr zu verlassen, dann stellt sich die Frage, wie sehr man eigentlich noch von einem informierten Journalismus sprechen kann“, sagt der George Malbrunot, einer von zwei französischen Journalisten, die vor wenigen Wochen das Glück hatten, von ihren Entführern nach mehreren Monaten traumatischer Odyssee freigelassen worden zu sein. „Kommt nicht mehr zurück“, lautete der letzte Rat ihrer Entführer. Beide Franzosen wundern sich darüber, dass immer noch ausländische Journalisten versuchten, im Irak zu arbeiten. Nur wenige Tage nach ihrer Freilassung wurde die kriegserfahrene französische Journalistin Florence Aubenas und ihr irakischer Übersetzer Hussein Saadi als vermisst gemeldet.

Sicher, anders als zu Saddams Zeiten gibt es heute eine florierende lokale Presse, aber auch für die irakischen Kollegen hat sich die Arbeit in einen Albtraum verwandelt. Sie stehen zwischen zahlreichen Fronten: Schießwütige verängstigte US-Truppen könnten glauben, man sei ein Selbstmordattentäter. Die irakischen Aufständischen könnten einen jederzeit aufgreifen und der Spionage für den Feind bezichtigen. Jede Straßensperre – ob mit US-Militärs oder irakischen Polizisten – zerrt an den Nerven. Ein Besuch einer Regierungspressekonferenz könnte von der anderen Seite beobachtet werden. Das Gerücht, mit den Amerikanern zu kollaborieren, könnte für einen irakischen Journalisten einem Todesurteil gleichkommen. Medienkritik an den arabischen Kollegen wird schnell mit Schüssen aus einem vorbeifahrenden Auto betrieben, wie es einem Fernsehreporter von Scharqia TV letzten Oktober passiert ist.

Auch Entführungen von irakischen Zeitungsjournalisten wie Raad al-Azzawi am 26. November sind kein Einzelfall. Ein anderer Reporter der Zeitung al-Mada erhielt Todesdrohungen, nachdem er über Korruptionsfälle in einem irakischen Ministerium berichtet hatte. Er wandte sich an das Innenministerium und erhielt dort den schlichten Rat: „Verlasse das Land“.

Arbeitsbedingungen im Irak werden bestimmt von einer Art Guerilla, die Journalisten als westliche Propagandainstrumente ansieht, und den Amerikanern, für die jeder arabischer Journalist ein potenzielles Sprachrohr der Aufständischen darstellt. Es gibt für ausländische Journalisten die Möglichkeit, etwa nur in die nördlichen, relativ ruhigen kurdischen Gebiete zu fahren und von dort wenigsten mit irakischer Ortsmarke über das gesamte Land zu berichten. Oder sich von den Amerikanern einbetten zu lassen und sich auf der Seite einer Kriegspartei in wenig objektiver Sicherheit zu wiegen. Oder eben nur im Hotelzimmer auszuharren, die Nachrichtenagenturen abzuschreiben und mit ein paar Leuten zu telefonieren.

Für einen Journalisten ist es schwierig, ein schwarzes Medienloch zu akzeptieren – gerade in einem Land, in dem es so viel zu berichten gäbe. Doch er muss auch zwischen dem Risiko und dem möglichen Ergebnis seiner Arbeit abwägen. Wo, wie im Irak, ernsthafte Recherche kaum mehr möglich ist, wird das Wagnis schnell sinnlos. Da sollte man sich den Rat des entführten und inzwischen freigelassenen französischen Kollegen Christian Chessnot zu Herzen nehmen: „Fahr nicht in den Irak, sei nicht verrückt, es lohnt sich nicht.“