: Humanpotenzial
betr.: „Nicht in den Mund nehmen“, „die anderen über den stabilitätspakt und das unwort ‚humankapital‘, taz vom 20. 1. 05
„Humankapital“ ist zwar ein dummer Begriff, aber die Entrüstung der Jury ist heuchlerisch, wenn sie meint: „Der Begriff degradiert nicht nur Arbeitskräfte, sondern Menschen überhaupt zu nur noch ökonomisch interessanten Größen.“ Was sind sonst Arbeitskräfte und Menschen in der Zeit des globalen neoliberalen Kapitalismus; in jeglicher Form des Kapitalismus war und ist die Arbeitskraft doch eine Ware. Es handelt sich um die Hässlichkeit des Kapitalismus und nicht der Begriffe, welche die Wirklichkeit der Verdinglichung und Entfremdung der Menschen zum Ausdruck bringen.
ANDREAS CHRISTINIDIS, Linden-Hessen
„Humankapital“ ist nicht weit entfernt von dem Wortmonstrum „Menschenmaterial“. Wenn früher ein junge Frau in einem wohlhabenden Haushalt „in Stellung“ ging, sagte man auch, sie „verdingt sich“. Sie war quasi das Humankapital ihrer Herrschaft, und entsprechend wurde sie oft behandelt. Demgegenüber plädiere ich für den Begriff Humanpotenzial. Wenn etwas dem Menschen eine herausragende Stellung in der Evolution verschafft, dann, dass er mehr als jedes andere Geschöpf ein Möglichkeitswesen darstellt. Die hoch entwickelte, kooperations- und solidarisierungsfähige Persönlichkeit ist die wichtigste aller Ressourcen. Sie bringt sich aber nicht als Kapital ein, sondern als Potenz, als Fähigkeit – als konkrete Welt an Möglichkeiten. Damit ist gerade das Nichtverdinglichte, das Nichtmaterialisierte gemeint. Die wichtigsten Merkmale von Menschen sind nicht ihre Hautfarbe, ihr Alter, ihr Geschlecht, ihre Bildung, nicht einmal das, was sie gerade tun, sondern: wozu sie fähig sind – im Guten wie im Bösen. Das Wort Kapital erweist sich für diesen Aspekt als untauglich. Kapital ist eine Frucht des Humanpotenzials.
Ein Begriff wird nicht dadurch klarer, dass er auch noch das Gegenteil dessen bedeuten soll, was er eigentlich bedeutet (in den Traditionen der Wirtschaftswissenschaften!). An Kapital kann ich Anteile erwerben, am Potenzial eines Menschen nicht. Es ist das Einzige, was einem Menschen ganz und gar selbst gehört. Ich kann am Potenzial des anderen nur teilhaben, wenn er mich auf dem Wege der Kooperation daran teilhaben lässt.
Wer Menschen hilft, ihren Möglichkeitshorizont zu erweitern, ihre Potenziale zu vergrößern und für sich und andere nutzbar zu machen, statt sie auszubeuten, handelt in höchstem Maße wirtschaftlich. Insofern sind Wissenschaftler, Pädagogen, Künstler, Journalisten, Pfarrer, Ärzte – kurz: alle, die den Menschen in seiner Entwicklung fördern (wenn sie es tun!) – wichtige Ökonomen. Ihr Tun verdient viel mehr das Attribut „ökonomisch“ als das mit Pawlow’schen Reflexen einhergehende Starren von Aktionären auf Kapitalrenditen. HANS-PETER SCHWÖBEL, Mannheim