: Armut gefährdet Ihre Gesundheit
Die gesundheitliche Situation in den sozialen Brennpunkten wird sich weiter verschärfen, so das Fazit des neuen Gesundheitsberichts. Öffentlicher Gesundheitsdienst soll weg von der Mittelschicht
VON SABINE AM ORDE
Die soziale Lage in Berlins Innenstadtbezirken ist dramatisch schlecht. Am schlimmsten ist sie in Friedrichshain-Kreuzberg. Das kann tödlich sein: Männer, die hier leben, sterben durchschnittlich drei Jahre und acht Monate früher als jene aus Steglitz-Zehlendorf. Und Frauen in Friedrichshain-Kreuzberg leben in Schnitt drei Jahre und drei Monate weniger als jene aus Treptow-Köpenick. Ähnlich schlecht geht es – statistisch gesehen – den Menschen in Neukölln und Mitte.
Eine Besserung ist nicht in Sicht. Ganz im Gegenteil: Alle Zeichen deuten darauf hin, dass sich die soziale Lage weiter verschlechtern wird: der Bildungsgrad sinkt, die Arbeitslosigkeit steigt, die Anzahl der Armen nimmt zu. Und damit wird sich die gesundheitliche Situation in den sozialen Brennpunkten der Stadt weiter verschärfen. Wenn nicht endlich massiv gegengesteuert wird. Das ist das Fazit aus dem neuen Gesundheitsbericht, den Gesundheitssenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) gestern vorgestellt hat.
Insbesondere die so genannten vermeidbare Todesfälle, die von Übergewicht, Rauchen oder zu viel Alkohol verursacht werden, werden in sozial schwachen Bezirken häufiger registriert: Dazu gehören Lungenkrebs, Schädigungen der Leber und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Das zeige, so Knake-Werner, dass hier Prävention und Gesundheitsförderung nicht greifen. „Die Versorgungsangebote in der Stadt können sich sehen lassen, aber sie erreichen nicht alle Menschen.“ Der zuständige Referatsleiter Gerhard Meinlschmidt drückte es etwas deutlicher aus: „Diese Angebote werden von Angehörigen der Mittelschicht genutzt.“ Hier sei eine Umsteuerung notwendig.
In diese Lücke soll nun der öffentliche Gesundheitsdienst stoßen. Den will Knake-Werner ganz umbauen. In den bezirklichen Gesundheitsämtern soll künftig nicht mehr angeboten werden, wofür eigentlich Ärzte, Zahnmediziner oder Psychotherapeuten zuständig sind. So hält ein Gesundheitsamt beispielsweise eine zahnärztliche Versorgung für Schwerbehinderte vor. „Das müssen aber die niedergelassenen Zahnärzte tun“, sagte Knake-Werner. „Solche Parallelstrukturen wollen wir abbauen.“
Stattdessen sollen sich die Gesundheitsämter gezielt den „besonders Bedürftigen“ zuwenden und kieznah tätig werden. Beispielsweise sollen sie stärker mit den Stadtteilzentren und dem Quartiersmanagement zusammenarbeiten. Ein gelungenes Beispiel sei ein deutsch-türkisches Kiezkochbuch, das der Verein „Gesundheit Berlin“ im Auftrag des BKK-Bundesverbands entwickelt hat. Der Grund: Türkische Kinder leiden besonders häufig an Übergewicht. Dem soll mithilfe des Kochbuchs zu Leibe gerückt werden. Konkreteres zur Zukunft des öffentlichen Gesundheitsdienstes war Knake-Werner aber nicht zu entlocken. „Wir sind derzeit noch in der konzeptionellen Debatte“, so die Senatorin. Anfang des kommenden Jahres soll das neue Konzept umgesetzt werden.
Unterstützung erhofft sich Gesundheitssenatorin Knake-Werner auch von dem neuen Präventionsgesetz, das derzeit auf Bundesebene diskutiert wird. Damit würde Prävention als eigene Säule im Gesundheitssystem anerkannt, und zusätzliche Mittel zum Beispiel von den Krankenkassen könnten mobilisiert werden. Zudem habe man mit der neu gegründeten Landesgesundheitskonferenz, der alle Akteure des Gesundheitswesens angehören, eine Plattform, um die Zusammenarbeit zu verbessern.