: „Leitkultur setzt auf Abgrenzung“
Der Kölner Politologe Christoph Butterwegge über die Neonazis der NPD, den Rechtsruck der deutschen Gesellschaft und gefährliche Äußerungen von CDU-Oppositionsführer Jürgen Rüttgers
INTERVIEW:HOLGER PAULER
taz: Herr Butterwegge, wie bewerten Sie die Chancen der rechtsextremen NPD, am 22. Mai in den Düsseldorfer Landtag einzuziehen?
Christoph Butterwegge: Das gesellschaftliche Umfeld ist für die NPD sehr günstig. Es gibt große soziale Probleme. Hartz IV, Arbeitslosigkeit, sozialer Abstieg – vor allem im Ruhrgebiet. Die Polarisierung in Arm und Reich nimmt zu. Hinzu kommen politische Themen der Mitte, die Anknüpfungspunkte bieten.
Welche Themen meinen Sie konkret?
Vor allem die Zuwanderung. Die Gefahr von Fundamentalismus und Terror wird permanent heraufbeschworen. Die Art und Weise, wie zum Beispiel nach dem Mord an den niederländischen Filmemacher Theo van Gogh über die multikulturelle Gesellschaft gesprochen und geschrieben wurde, bietet für Rechtsextremisten eine günstige Basis. Schlagzeilen wie „Das Scheitern der multikulturellen Gesellschaft“ bestimmen seitdem den Diskurs der gesellschaftlichen Mitte. Rechtsextreme und Neonazis fühlen sich in ihrer Meinung bestätigt.
Der CDU-Oppositionsführer Jürgen Rüttgers hat diese Woche gesagt, dass man „deutsche Kultur“ zurück gewinnen wolle. Als „Bollwerk gegen den Fundamentalismus“.
Die Diskussion um die so genannte „Deutsche Leitkultur“ setzt auf die Abgrenzung gegenüber MigrantInnen. Indem von Rüttgers auch noch die finanzielle Belastung der Zuwanderung thematisiert wird, verknüpft er die soziale mit der nationalen Frage. Die Ethnisierung sozialer Konflikte wird seit Jahren vom politischen Mainstream thematisiert. Für Straftaten wird nicht mehr die soziale, sondern die ethnische Herkunft verantwortlich gemacht.
Greift Rüttgers damit Themen der Rechten auf oder wird er zum Stichwortgeber?
Beides: Es gibt Themen der extremen Rechten, die in der Mitte aufgegriffen werden. Wie zum Beispiel der demografische Wandel der Gesellschaft. Die Sorge, dass das „deutsche Volk aussterben könnte“. Seit 1945 wurde die Debatte nie mehr so heftig geführt wie im Moment. Andererseits haben sich Rechtsextreme konkret auf den Rüttgers-Slogan „Kinder statt Inder“ bezogen. Die rechtsextremen Republikaner sind mit dem Slogan in die Landtagswahl 2000 gezogen.
Wie wirkt sich das konkret aus?
Die Rechte versucht durch das Aufgreifen der Themen der Mitte salonfähig werden. Die Leute sind ja nicht dumm. Bei der Landtagswahl in Sachsen ist es der NPD gelungen zu beweisen, dass sie in der Mitte der Gesellschaft Fuß gefasst hat. Die NPD wurde dort zur wählbaren Alternative. Das will sie auch bei der Landtagswahl in NRW erreichen.
Befürchten Sie einen Erfolg der NPD in Nordrhein-Westfalen?
In so einem großen Flächenland wie NRW wird es der NPD nicht konkret um den Einzug in den Landtag gehen. Die NPD wird durch das Bündnis mit der DVU und mit den „Freien Kameradschaften“ stärker werden. Es entsteht eine neue Dynamik. Man darf dabei nicht das Datum vergessen. Die Wahl findet am 22. Mai statt. Zwei Wochen nach dem 60. Jahrestag der Befreiung vom Naziregime – für die NPD ein Tag der Niederlage. Wenn man sieht, wie in der Öffentlichkeit die alliierten Bombenangriffe auf die deutschen Städte thematisiert werden – Täter werden hier zu Opfern gemacht – dann kann man schon von einem günstigen Klima für die NPD sprechen.
Was schlagen Sie den demokratischen Parteien im Umgang mit der NPD vor?
Der Ruf nach einem Verbot bringt nichts. Wichtiger wäre es, sich inhaltlich deutlicher abzugrenzen. Da scheinen die demokratischen Parteien einige Schwierigkeiten zu haben.
Das Thema NPD wird sich also nicht allzu bald erledigen.
Die NPD verfolgt eine Dreifach-Strategie: Den Kampf um die Straße, die Parlamente und um die Köpfe. Und gerade im letzten Punkt gibt es derart viele Anknüpfungspunkte in Richtung Mitte, dass dadurch auch die langfristigen Chancen der NPD, sich in der Gesellschaft zu etablieren, steigen. Der Deutschland-Pakt zwischen NPD und DVU bis in die militante Neonazi-Szene hinein ist langfristig angelegt.