Gericht: Bundesrat beschäftigt Scheinselbständige

SOZIALBETRUG Das Verfassungsorgan ließ Besucher von Scheinselbständigen führen, bemängelt das Berliner Sozialgericht und verurteilt den Bundesrat zur Nachzahlung von Rentenbeiträgen

BERLIN taz | Der Bundesrat beschäftigt Scheinselbständige. Zu diesem Urteil kam gestern das Berliner Sozialgericht. Dies geschah, so der Vorsitzende Richter Frank Bockholdt, sogar „grob fahrlässig“. Der Bundesrat ließ die Führungen durch sein Gebäude von selbständigen Honorarkräften durchführen – dachte zumindest der hauseigene Besucherdienst. Eine andere Auffassung vertrat die Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg.

Die meinte, die Mitarbeiter seien „abhängige Beschäftigte“ und keine selbständigen Honorarkräfte. Daher müssten für die Jahre 2001 bis 2004 Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von rund 15.000 Euro nachgezahlt werden. Dagegen hat der Bundesrat Klage vor dem Berliner Sozialgericht erhoben – und ist gescheitert. Insgesamt muss der Bundesrat nun rund 20.000 Euro zahlen.

Größer als der monetäre Schaden, der aus Steuergeldern finanziert wird, dürfte der Imageschaden beim Bundesrat, einem der fünf deutschen Verfassungsorgane, wiegen. Bockholdt bescheinigte der Länderkammer keine gute Arbeit. Zum einen habe der Bundesrat genug qualifiziertes Personal, das hätte feststellen müssen, dass es sich bei den Mitarbeitern des Besucherdienstes eben nicht um freie, sondern um abhängig Beschäftigte handele. Zum anderen hätte man bei Unstimmigkeiten auch ein sogenanntes Statusfeststellungsverfahren bei der Rentenversicherung beantragen können. In diesem wird geklärt, ob ein Mitarbeiter frei oder abhängig beschäftigt ist.

Und noch ein dritter Punkt stimmte den Richter wohl eher nicht milde: Antje Lorenz, Leiterin des Besucherdienstes, blieb in ihren Ausführungen „sehr verschwommen“ und erfüllte gerichtliche Auflagen bis zum Urteilsspruch nicht.

Die notwendigen Unterlagen, die dann auch den Urteilsspruch ermöglichten, wurden dem Gericht von einem der 15 betroffenen Mitarbeiter vorgelegt. Ein bisher beim Bundesrat auf Honorarbasis beschäftigter Mann trat als Beigeladener auf. Im Gegensatz zu seinen 14 KollegInnen vertrat er die Position, er sei abhängig beschäftigt. Dass er sich so offen gegen seinen bisherigen Arbeitgeber stellte, blieb für ihn nicht ohne Folgen: Seit dem 23. Mai hat er vom Besucherdienst keinen weiteren Auftrag mehr zur Führung einer Gruppe durch den Bundesrat bekommen. Erst auf einen Pressebericht nach dem ersten Prozesstag am vergangenen Donnerstag hin bekam er eine E-Mail, dass er wieder arbeiten könne. Und das will er auch weiterhin, allerdings „als Arbeitnehmer im Bundesrat“ und nicht mehr als selbständige Honorarkraft.

Aber die wird es in Zukunft sowieso nicht mehr beim Bundesrat geben. Antje Lorenz signalisierte der taz vor Verkündung des Urteils, dass dieses vom Bundesrat auf jeden Fall akzeptiert würde. MONIKA SCHMIDTKE