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Archiv-Artikel

Artig, nett und bloß nicht böse

„Rückblende 2004“: Die besten Karikaturen und Fotografien des Jahres. Dritter Preis für Burkhard Fritsche und die taz

Der Mann mit dem härtesten Job im ganzen Rebenland

BERLIN taz ■ Achim Greser war nicht da. Leider. Angeblich ist die lautstarke Hälfte des Frankfurter Zeichnerduos Greser & Lenz nicht zur diesjährigen „Rückblende“ eingeladen worden, hatte er doch im vergangenen Jahr zu später Stunde ein großes, gerahmtes Merkel-Bild von der Wand genommen und mitgehen lassen. So die Legendenbildung. Zuvor hatte er noch rheinland-pfälzische Staatssekretäre dazu gebracht, mitten in ihrer Landesbotschaft eine Riesentüte zu rauchen. Bis zum nächsten Jahr sollte hoffentlich genug Gras über die Sache gewachsen sein.

Ohne Feuerkopf Greser ging es recht beschaulich zu am Mittwochabend bei der „Rückblende 2004“. Der jährliche Karikaturen- und Fotopreis des Bundesverbandes der Zeitungsverleger wird mittlerweile traditionell in der rheinland-pfälzischen Landesvertretung verliehen. Dekorativ und anheimelnd leuchtete das Brandenburger Tor durch die Panoramafenster in den Saal, und die weinselige Atmosphäre tat ihr Übriges, dass niemandem weh getan wurde. Nettigkeiten wurden zuhauf ausgetauscht, es gab viel Lob für die diesmaligen Gewinner: „Nicht böse gemeint“ sei zum Beispiel der erste Preis in der Kategorie Foto von Jochen Zick, der auf dem Gewerkschaftstag die abgestumpft dreinblickende DGB-Spitze abgelichtet hatte. Schmunzelnd enterte der eigens herbeigeeilte DGB-Vorsitzende Michael Sommer die Bühne und gratulierte artig dem Preisträger, der seine 5.000 Euro strahlend entgegennahm.

Ebenfalls 5.000 Euro und den Ersten Preis in der Kategorie Karikatur erhielt der Welt-Zeichner Jan Tomaschoff, der die Bundesregierung äußerst originell als DDR-Politbüro präsentierte.

Erfreulicher war da schon der dritte Preis für den taz-Zeichner Burkhard Fritsche, der mit seiner Interpretation der neuen alten Rechtschreibung im Hamburger ßpiegel wenigstens etwas Schärfe in den Abend brachte.

So plätscherte die Zeremonie beinah ohne Greser’sche Überraschungen vor sich hin, hätten nicht ausgerechnet die sonst komplett humorfreien ßpiegel-Herren den unfreiwillig komischen Höhepunkt geliefert: ßpiegel-TV zeigte einen Film über das „unabhängige Politikmagazin“ Basirat aus Afghanistan, das die Hamburger finanziell unterstützen. Hier kroch der ansonsten nur unterschwellige ßpiegel-Rassismus endlich einmal ins helle Bühnenlicht, als zum Beispiel der stellvertretende Chefredakteur dem Wilden aus Kundus erklärte: „Und das ist Geld.“ Peinlich, schaurig, zum Schreien komisch.

Zuletzt soll endlich einmal der Veranstalter, die rheinland-pfälzische Landesvertretung in Berlin, gelobt werden. Nie wieder werden wir fragen, warum ausgerechnet die Rheinland-Pfälzer jedes Jahr die „Rückblende“ zelebrieren. Wer einen solch hervorragenden Koch beschäftigt und derart feine Weine kredenzt, sollte auf ewig die Preisverleihung ausrichten. Und bitte weiterhin unter der Leitung des zuständigen Staatssekretärs Dr. Karl-Heinz Klär, dessen Aufgabengebiet mit Wein & Komik ungefähr beschrieben ist. Je weißer sein Haar jedes Jahr wird, desto röter strahlt sein Antlitz. Er ist der Mann mit dem härtesten Job im ganzen Rebenland und hat, wenn auch diesmal ohne Achim Gresers Unterstützung, wieder alles mühelos im Griff gehabt.

MICHAEL RINGEL