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Archiv-Artikel

Wiedersehen mit dem Stadtguerillakitsch

Als der Terrorismus der RAF noch für Jugend und Kritik stand: Astrid Proll hat eine erweiterte Neuausgabe ihres Fotobandes „Hans und Grete“ herausgebracht

VON RENÉE ZUCKER

„Gegen die Kommandos, die die Jets in das World Trade Center in New York steuerten, waren wir von moralischen Skrupeln geplagte Amateure“, schreibt Astrid Proll in ihrem Fotoband. Und sie fügt hinzu, die RAF habe immer lang diskutiert über die Legitimität von Zielen – im Gegensatz zu den islamistischen Attentätern, die den Tod Unschuldiger nicht nur in Kauf genommen, sondern es vielmehr darauf angelegt hätten, möglichst viele Menschen umzubringen. Als bei einem RAF-Bombenanschlag auf den Springer-Verlag in Hamburg ungeplant 17 Arbeiter verletzt wurden, da „zog das harte Kritik und schwere Spannungen innerhalb der Gruppe nach sich“.

Erstaunt, ja mit einigem Unbehagen liest man diesen einleitenden Aufsatz. Es ist schon irritierend, wie sie von der „jugendlichen Kraft, Vitalität und ungeschminkten Schönheit“ schwärmt, die „aus den Gesichtern und Körpern“ spreche und die „auch die Ignoranz und Arroganz der Adoleszenz“ offenbare, ohne die „wir nie so radikal mit unserer Herkunft und dem Wertesystem des aufsteigenden West-Deutschland hätten brechen können“.

Diese Aussage ist so authentisch wie fragwürdig, weil sie immer noch die Perspektive von damals einnimmt. Als könnte man heute – als Erwachsene im letzten Lebensdrittel – immer noch im Geist dieses „radikalen Abbruchs mit unserer Herkunft“ denken. Schließlich weiß man doch, dass sich mit der Herkunft nicht brechen lässt, sie klebt an einem wie das Kaugummi am Schuh.

Und ja, tatsächlich fanden wir diese Gesichter und Körper vital und schön. Ist jugendliche Kraft nicht immer schön? Manche Mädchen wollten so schmal und elegisch aussehen wie Gudrun Ensslin und so hart und klar schreiben wie Ulrike Meinhof, die Jungen ahmten die Baader’sche Virilität nach und wollten auch ein bisschen Prollmaske über der Kleinbürgerpersona haben. Stadtguerillakitsch.

Ja, wir waren ignorant und arrogant – das ist vielleicht ein Vorrecht der Jugend, aber von heute aus gesehen muss man doch auch mal sagen können, dass diese rechthaberische Haltung nicht so sehr weit entfernt war von der militanten Spießigkeit des Wertesystems. Es sind nur andere Worte, die unsere Werte bildeten, aber sie hatten immer etwas von der „Solange du deine Füße unter meinen Tisch setzt“-Haltung. Die Sprache der Kassiber ist von gleicher, autoritärer Struktur. Eben sehr deutsch.

Es gibt ein fürchterliches Bild auf Seite 138/139 – ein Foto von Meinhofs Stammheimzelle, über dem handgeschrieben in roter Schrift steht: „Ich erwarte SOFORT Deinen Besuch! Es muß sein! muß-muß-muß! Ulrike / Es ist ein Befehl! Es ist eine Bitte! Es ist eine Drohung! Es ist das, was dich herbewegt – bitte SOFORT bitte“ –, und darüber steht die Schrift auf dem Kopf: „Sollte es jemals heißen, ich hätte Selbstmord gemacht, so war es Mord – äußere Gewalteinwirkung – gegen totalen Widerstand!“ Eine erschreckende Mischung aus Verwirrtheit und Sprache der Inquisition.

Das Buch beginnt mit Fotos von Baader, Ensslin, Raspe – heimlich aufgenommen in Stammheim. Es folgen, etwas willkürlich, Bilder davon, wie alles anfing. Die typischen 68er-Impressionen: Langhans in Röckchen und Hütchen beim Tänzchen mit Baader; der sterbende Benno Ohnesorg, der heutige NPD-Anwalt Horst Mahler duckt sich vor Wasserwerfern, die nackte Ensslin in Kurzfilm. Unter einem Bild steht „Ingrid Schubert hilft einer verletzten Genossin …“ – und man fragt sich kurz, ob die Anrede noch gilt oder ob das Bild einen festen Titel hat, den man nicht ändern durfte.

Man sieht Ulrike Meinhof und Irene Goergens rauchend auf der Bettkante bei den Dreharbeiten zu „Bambule“ – und plötzlich fällt auf, dass die Meinhof niemals zu lachen scheint. Alle anderen haben Momente von Unbekümmertheit oder gar Glück: Baader und Ensslin, sich zugeneigt am Bistrotisch. Oder Irene Goergens – ein wunderschönes Bild zeigt sie bei ihrer Verhaftung 1970. Fast entspannt und klar schaut sie seitlich nach oben den Fotografen an, ein fein geschnittenes Gesicht, kindlich durch den kurzen Pony.

Ein Jahr später auf der Anklagebank, zusammen mit Mahler und Ingrid Schubert, ist es ein anderes Gesicht, nicht nur durch einen weniger vorteilhaften Aufnahmewinkel. Es wirkt grober, erschöpft, obwohl es sich wie fürsorglich zu Mahler wendet. Überhaupt Mahler – mit und ohne Toupet – spätestens bei Fotos von ihm fragt man sich, ob es nicht doch noch ein bisschen mehr Text gebraucht hätte, sowohl erklärend wie reflektierend.

Es gibt lediglich den einführenden Aufsatz von Astrid Proll. Und darin ist immer wieder ein recht selbstgerechter Ton zu vernehmen – etwa, wenn sie davon schreibt, dass heutzutage junge Künstler das Thema RAF bearbeitet und „ausgebeutet“ hätten, so als dürfe sich mit diesem Thema nicht einfach jeder so beschäftigen, wie er lustig ist. Aber auch das Ende ihres Textes offenbart noch eine Art von Eingefrorenheit in einem großen Irrtum: „Für mich sind sie Menschen … die unmenschliche Taten begingen, nicht weil sie Kriminelle, Irre oder Monster waren, sondern weil sie die Ungerechtigkeit und Unterdrückung dieser Welt nicht ertragen und nicht als unabänderbar hinnehmen konnten.“

Ein bisschen mehr Selbstkritik und Distanz wäre da angenehm gewesen. Denn aus solchen Sätzen spricht noch immer eine Sichtweise, die unsere äußere Welt zum Feind von gutherzigen Individuen erklärt, die doch nur das Beste wollten. Der Himmel bewahre uns vor jenen, die das Beste wollen. Oder wie Josef Conrad in „Der Geheimagent“ schrieb: „Der Gang auch der gerechtfertigsten Revolutionen ist von persönlichen Triebkräften angelegt, welche zu Glaubenshaltungen entstellt sind.“

Für solch eine Erkenntnis ist, wenn man die Psychoanalyse nicht mag, die Literatur allemal gut.

Astrid Proll: „Hans und Grete. Bilder der RAF. 1967 bis 1977“, aktualisierte und erweiterte Neuausgabe, 160 Seiten, Aufbau Verlag, Berlin 2005, 19,90 Euro