Iraker haben die freie Wahl

Zum Auftakt der Irak-Wahl in Deutschland reisen die Wähler selbst aus Leipzig und Polen nach Berlin. Ethnische oder religiöse Konflikte spielen keine Rolle: „Hier sind wir alle Demokraten“, sagt ein Mann

VON FELIX LEE

Nun ist auch Abdel Hassams rechter Zeigefinger blau. Wie ein Victory-Zeichen hält er ihn beim Verlassen der Wahlkabine stolz in die Luft und lässt sich dabei von seiner Tochter Nizrim fotografieren. „Heute ist ein Freudentag“, sagt er in gebrochenem Deutsch und ruft: „Für einen freien Irak!“

Der blaue Zeigefinger ist in diesen Tagen nicht nur das Begrüßungszeichen unter Deutschlands Exilirakern, sondern das Symbol eines demokratischen Irak. Denn wer ihn hat, beweist: Er war wählen. „Die Farbe wäscht sich erst in ein paar Tagen ab“, erklärt die festlich gekleidete Wahlhelferin, die wie ein Luchs aufpasst, dass vor Abgabe der Stimme auch ja jeder den Finger in die blaue Tinte getaucht hat. „Damit keiner in Versuchung kommt, zweimal seine Stimme abzugeben.“

So wie Abdel und seine Familie haben sich gestern Morgen hunderte von Irakern auf den Weg in das heruntergekommene ehemalige Polizeigebäude in der Weißenseer Albertinenstraße gemacht – neben denen in Hamburg, Mannheim und Köln eines von vier Wahllokalen in Deutschland, wo sie ihre Stimme abgeben können. Die Exiliraker sind die Ersten, die ihre Stimme für das verfassunggebende Übergangsparlament abgeben dürfen. Wegen der langen Anfahrtswege haben sie drei Tage lang Zeit, im Irak selbst wird nur am Sonntag gewählt.

Abdel kommt aus Hannover, die Frau hinter ihm aus Leipzig – einige seien sogar aus Polen und der Tschechischen Republik angereist, erzählt ein Wahlhelfer. Und das nicht zum ersten Mal. Zur Registrierung mussten sie vor einer Woche schon mal herkommen. Eine Briefwahl konnte aus zeitlichen Gründen nicht rechtzeitig organisiert werden.

Allein in Berlin haben sich nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) 4.794 irakische Wähler registrieren lassen. Am Freitagmorgen waren es bereits weit über 100, sagte der Wahlhelfer.

Dass der Putz an den Wänden bröckelt und überhaupt das ganze Sicherheitsaufgebot auf dem heruntergekommenen Gelände ein wenig an ein provisorisch errichtetes Gefangenenlager erinnert, trübt seine Stimmung nicht. „Heute wird gefeiert“, ruft Abdel, der seit seiner Flucht vor zwölf Jahren seine Heimat nicht mehr betreten hat. Und die Gruppe von Irakern, die es nach dem Urnengang anscheinend ebenfalls nicht vom Gelände wegzieht, antworten ihm mit Jubel und Freudengesang.

Unter den WählerInnen sind ganze Großfamilien. Einige Frauen tragen festliche Gewände aus Samt oder Seide, ein paar von ihnen sind arabischer, die meisten kurdischer Herkunft. Es sei egal, ob es Kurden, Schiiten, Christen oder Sunniten sind, sagt Mayid Moselm, der 1979 vor Saddam Hussein geflohen ist. „Hier sind wir alle Demokraten.“

Freiheit, Sicherheit und eine Zukunft für die Kinder erhofft sich Shelan Gader (35) von dieser Wahl. Sie kam zu DDR-Zeiten zum Studium nach Leipzig und arbeitet inzwischen als Ärztin. Von einer demokratisch legitimierten Regierung erhofft sie ein Ende des Terrors. Klar würde sie gerne wieder zurück in den Irak gehen. „Wenn es nicht mehr so gefährlich ist.“

Ayel Ahmad denkt an die schrecklichen Bilder der jüngsten Anschläge auf Wahllokale, die er am Morgen noch im Frühstücksfernsehen gesehen hat. Er macht keinen Hehl aus seinem Hass auf die US-Regierung. Ihr gibt er die Schuld für den Terror. „Die Amis müssen endlich raus aus dem Land“, sagt Ahmed. Der 28-jährige Hassanmo ergänzt: „Wir sind nicht glücklich, wie Saddam gestürzt wurde –, dass es passierte, aber schon.“