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Archiv-Artikel

Eine lehrreiche Nacht im Museum

Deutlich weniger Publikum als in den Vorjahren findet den Weg zur „Jungen Nacht“ im Museum Ludwig. Der Dialog zwischen Laien und Kunststudenten ist oft allzu einseitig

Letztes Jahr waren es 2.500, davor 4.000. An diesem Freitag sind bis 23 Uhr gerade mal rund 750 eingetrudelt

Die Augen des Besuchers haben sich seit Minuten nicht bewegt. Ausdruckslos starrt er auf das Gemälde. Die Kunststudentin lauert neben ihm auf das entscheidende Stichwort. Und dann erbarmt sich der Mann und katapultiert Katharina Hettlage knapp die Frage entgegen: „Und die Geschichte dazu?“ Sie holt kurz Luft und dann erzählt sie alles, was sie über Ludwig Kirchners Gemälde im Besonderen und sein Leben im Allgemeinen zu sagen hat. Der Besucher nickt verstehend und wartet stumm das Ende des Vortrags ab.

Zwanglos sollte die „Junge Nacht“ eigentlich sein, die am vergangenen Freitag im dritten Jahr in Folge stattfand. Sie ist konzipiert als Begegnung zwischen Museumsbesuchern und Kunststudierenden. Aber nicht immer kommt es zum Disput über die ewige Frage, wie der Künstler das wohl alles gemeint hat. Allzu oft treffen zwei aufeinander, von denen einer viel weiß und viel sagen will, der andere nichts weiß und das Berieseltwerden als angenehm empfindet. Dabei soll im Mittelpunkt dieser ganzen Aktion eigentlich das Gespräch zwischen Kunststudenten und interessierten jungen Laien stehen.

Die Forderung nach gegenseitiger geistiger Befruchtung versucht Beate Kampmann sehr ernst zu nehmen. Ein weißes Schild baumelt an ihrem Revers, sie ist also eine derjenigen, mit denen man in Dialog treten kann über die Kunst, die sich einem hier im Museum überall in den Weg stellt – wie zum Beispiel Ernst Barlachs „Hockende Alte“, die als Holzskulptur auf einem Sockel sitzt. Robert kommt die Figur „irgendwie traurig und pessimistisch“ vor. Der 25 Jahre alte „Kunstlaie“ sieht das schon an den hängenden Mundwinkeln. Ja, geradezu verzweifelt sehe das „Mütterchen“ aus, davon ist er überzeugt.

Beate Kampmann ist in der Zwickmühle. Natürlich möchte sie Roberts Empfindungen gelten lassen. „Alle Deutungen sind zulässig. Viele Interpretationen beruhen ja auch nur auf Spekulationen“, sagt sie. Und doch möchte sie, dass Robert nicht nur die traurige Alte sieht. „Sieh mal den geraden Rücken an. Die hat doch auch Lachfältchen.“ Aber Robert lacht: „Ach, das wünschst du dir doch nur.“

Heiner, ein anderer „Laie“, findet es „super“ über Kunst und ihre Symbolik zu sprechen – und über die „Probleme dahinter“. Früher hat sich der 25-jährige Architekturstudent eher fürs Fernsehen interessiert. Aber heute hat er sich vom heimischen Sofa erhoben, „weil Kunst ja schon wichtig“ sei, und Fernsehen „ja eher keine Kunst“.

Manchmal versteckt sich die Kunst. Anke Ferber und ein junger Mann sind gerade dabei, sie in einem Haufen Holzpanneelen zu suchen, den Künstler Carl Andre „Timber Piece“ nennt. „Minimal Art ist gewöhnungsbedürftig“, sagt die 29-jährige Studentin. Sie interessiere sich eher für Auftragskunst. Aber im Dialog mit den Besuchern sehe sie auch das Bauholzobjekt mit ganz anderen Augen.

Heute ist Heiner im Museum, „weil Kunst ja schon wichtig“ sei, und Fernsehen „ja eher keine Kunst“

Lernen kann an diesem Abend jeder etwas: Die Besucher, dass Kunst durchaus auch einfach das sein kann, was einem gefällt. Ein älterer Herr, dass seine Gattin an einem Gemälde von Otto Dix vor allem die „extrem kräftigen, behaarten Unterarme“ des Dargestellten schätzt. Die Kunststudenten, dass junge Museumsbesucher zuweilen stur auf ihrer Meinung beharren. Das Wachpersonal, dass auch eine Junge Nacht im Museum äußerst „gesittet“ verlaufen kann.

Klaus Hensch von der Wach- und Schließgesellschaft findet ohnehin, dass der Zustrom im Vergleich zu den Vorjahren nachgelassen habe. „Es ist ruhiger heute.“ Kein Wunder: Im vergangenen Jahr besuchten 2.500 Menschen die Junge Nacht, im Jahr davor kamen gar 4.000. An diesem Freitag sind bis 23 Uhr gerade mal rund 750 eingetrudelt. Wenn man sich im zweiten Stock über das Treppengeländer lehnt, sieht man nur wenige Besucher. Verlorene Farbkleckse, ausgestreut über hellem Stein. Wie vereinzelte Silvester-Konfetti, die nach Neujahr noch am Boden kleben. Claudia Lehnen