: Hinter Wällen
Die Teilung Deutschlands setzt sich im Fahrbahnbelag fort: eine Probefahrt auf der Ostseeautobahn A 20
Es war kurz vor Weihnachten, es war kalt, und auf der A 20 zwischen Lübeck und Rostock waren drei Bänder über die frisch geteerte Fahrbahn gespannt: zwei in den Landesfarben von Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, eins in den Deutschlandfarben. An der Schere: die Ministerpräsidenten Heide Simonis und Harald Ringstorff. Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe hatte sich entschuldigen lassen, er sitze in Berlin „wegen Nebel“ fest.
Kein gutes Omen für den neuen Streckenabschnitt, der nach etlichen Gerichtsprozessen und Verzögerungen endlich den Weg von Lübeck nach Rostock freimachen sollte. „Wird ja mal Zeit, dass man von der A 1 zu auf die A 20 fahren kann, wie oft habe ich da schon über die Länder tuckert“, schrieb einen Tag vor der Eröffnung „Jochen“ im Online-Forum der Schweriner Volkszeitung und sprach vielen Autofahrern aus dem Herzen.
Von der A 1 aus Hamburg kommend gestaltet sich das Einfädeln bei Lübeck schwierig, weil unübersichtlich. Enge Kurvenradien zwingen zum abrupten Abbremsen, ein Gewirr von Zu- und Auffahrten versperrt den Horizont. Bevor man richtig Gas gegeben hat, der erste Tunnel: 80 km/h Höchstgeschwindigkeit.
Das Fahrgefühl Richtung Osten: angenehm. Samtiger Asphalt, gut ausgebaute Leitplanken. Nur über die Geschwindigkeitsbegrenzung (jetzt: 100 km / h) lässt sich streiten. „Das sollte auf einer neuen Autobahn nicht sein, man muss ja auch überholen“, sagt die am Steuer sitzende Testfahrerin, zu Hause auf den Autobahnen dieser Welt.
Die offizielle Erklärung für Tempo 100 sind die engen Kurvenradien. Stimmt auch. Die A 20 erstreckt sich nicht, sie schlängelt und windet sich. Vermutlich liegt das an den vielen Hügeln hier, von denen aber nicht viel zu sehen ist, denn meistens ist die Landschaft von riesigen Erdwällen verdeckt. Rechts und links der Fahrbahn sind sie aufgeschüttet, auf den Wällen stehen kleine dürre Bäumchen.
Nicht mal die große, 300 Meter lange Brücke über das Wakenitztal bietet einen Ausblick, dabei markiert sie die alte Grenze zwischen Ost und West. Eine Bürgerinitiative wollte die Brücke verhindern, um die Flusslandschaft darunter zu schützen. Zu sehen ist von der Flusslandschaft nichts. Ein riesiger Sichtschutz versperrt den Blick.
Dafür macht sich Mecklenburg-Vorpommern anderweitig bemerkbar. Die Testfahrerin fingert am Autoradio herum: „Irgendwas ist da komisch, hörst du das Nebengeräusch?“ Es ist der Fahrbahnbelag, der im Osten nicht schwarz oder braun ist, sondern weißlich-grau. Und sehr laut. Das findet man auch „Harry“ im Onlineforum: „Was mich auch sehr stört, sind die extremen Abrollgeräusche. Kann mir jemand sagen, ob da nachgebessert wird?“
Und dann ist das neue Stück auch schon zu Ende. Bis hinter Rostock kann man inzwischen weiterfahren, Ende des Jahres soll Polen angeschlossen sein. Auf der Rückfahrt ein kurzer Halt auf dem bisher einzigen Rastplatz, ein Blick ins futuristische Toilettenhäuschen: Hightech, mit vollautomatischer Sensorkontrolle. Der Überlauf wird so aber auch nicht verhindert.
Nach der letzten Abfahrt führt die Autobahn noch einige Meter in einen Acker hinein. Eindeutig soll es weitergehen, weiter nach Westen. Geplant ist eine Elbquerung bei Glücksstadt, hinüber nach Niedersachsen. Dort stehen die Bürgerinitiativen schon bereit. Daniel Wiese