Auf der Zielgeraden

Die Stiftung zur Entschädigung der Zwangsarbeiter hat eine positive vorläufige Bilanz gezogen. Bis zum Jahresende könnten die Auszahlungen abgeschlossen sein

BERLIN taz ■ Die Stiftung „Erinnerung und Zukunft“, beauftragt, den Sklaven- und Zwangsarbeitern des Nazireiches eine späte Entschädigung zukommen zu lassen, ist in die Zielgerade eingebogen. Diese sportliche Metapher verwendete der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Hans-Otto Bräutigam, am Mittwochabend nicht zu Unrecht. Die Bundesstiftung hat bisher ihren osteuropäischen, jüdischen und international operierenden Partnerorganisationen rund 3,85 Milliarden Euro für 1,614 Millionen Anspruchsberechtigte zur Verfügung gestellt. Die Partner haben mit einer Ausnahme mit der Auszahlung der zweiten der beiden Raten begonnen. Sie hoffen, bis zum Jahresende ihre Arbeit abzuschließen.

Was bleibt, sind Ansprüche von Nachzüglern und Beschwerdeführern. Dabei handelt es sich laut Bräutigam aber nur um marginale Summen. Der bundesweite Archivverbund, der zur Nachweiskoordinierung der Zwangsarbeit von der Stiftung eingerichtet worden war, konnte schon Ende letzten Jahres seine Arbeit einstellen.

Die Stiftung hat aus der ihr anvertrauten Summe von 10 Milliarden Mark einen hübschen Zinsgewinn erwirtschaftet, was sie in die Lage versetzte, Defizite bei Partnerorganisationen auszugleichen.

Im Falle Russlands und der Jewish Claims Conference handelte es sich um die Einbeziehung einer neuen Opfergruppe – die Sklavenarbeiter, die medizinischen Versuchen ausgesetzt waren. Sogar Einbußen der polnischen Partner, die durch selbst verschuldete Verluste bei der Zloty-DM-Verrechnung entstanden waren, wurden ausgeglichen. Eventuelle Restbeträge, die eine neue Auszahlungsrunde nicht rechtfertigen, werden für humanitäre Zwecke verwendet.

Aus Bräutigams Übersicht ging hervor, dass das von der Stiftung eingerichtete Kontrollsystem in den einzelnen Partnerländern gut funktionierte. Bei Stichproben ergaben sich kaum Beanstandungen.

Komplizierter stellt sich die Lage bei der Entschädigung von Vermögensschäden dar, insbesondere bei Forderungen aus Versicherungspolicen. Die Beweislage ist hier sehr schwierig, weil die Nachkommen der Versicherungsnehmer oft nur unzureichende Informationen besitzen. Die Folge: hohe Ablehnungsraten und eine entsprechend hohe Zahl von Beschwerden. Auch der Verwaltungsaufwand ist hoch. Bräutigam vertrat dennoch die Auffassung, dass es richtig war und sich gelohnt hat, den Komplex Vermögensschäden in die Zwangsarbeiterentschädigung einzubeziehen.

In einer vorläufigen Bilanz stellte der Vorstandsvorsitzende fest, dass vor allem in Osteuropa viele heute sehr bedürftige ehemalige Zwangsarbeiter noch von den Zahlungen profitieren konnten. Entsprechend positiv waren ihre Reaktionen. So habe die Stiftung auch dort gesellschaftlich wirken können, wo sich, wie im Fall Polens, das politische Klima in den letzten Jahren verschlechtert habe.

Ausdrücklich bedauerte Bräutigam, dass durch das geltende Recht große Opfergruppen ausgeschlossen wurden – vor allem Kriegsgefangene, die Zwangsarbeit leisten mussten.

CHRISTIAN SEMLER