Objekte und Gefühle

REIBUNG Auf die Sprache der Dinge ist Aitana Cordero nicht ganz freiwillig gestoßen. Doch nun erzählt die Tänzerin damit virtuos auf dem Festival „In Transit“, das am 11. Juni im Haus der Kulturen der Welt eröffnet

„Widerstand des Objekts“ ist das Festival In Transit 09 überschrieben, das an der Schwelle von Tanz und Theater, Body-Art und bildender Kunst agiert. Neben Partys, Künstlergesprächen und einer interaktiven Bibliothek ist die Lecture-Reihe fester Bestandteil des Festivals. Eröffnet wird die siebte Ausgabe des Festival Transit am 11. 6. mit einer Party und der erstmalig in Berlin zu sehenden Butoh-Tanzkompagnie Sankai Juku im Haus der Kulturen der Welt. Aitana Cordero zeigt am 14. Juni, 16 Uhr, „Solo…?“, am 17. + 18. Juni „The Duet“ um 21.30 Uhr. Tickets und Infos unter 030-39 78 71 75 oder www.hkw.de. Vorverkauf: HKW, Mo.–So. 10–19 Uhr sowie an den bekannten Vorverkaufsstellen, Eintritt zwischen 3 und 15 Euro

VON ASTRID HACKEL

Wie sähe eine Liste mit den Namen derjenigen aus, die wir gern geküsst hätten? Eine Liste der Sehnsüchte, die wir unterdrückt haben? Eine Aufstellung der Plätze, an denen wir uns umbringen könnten, aus Rache an dem, der uns verlassen hat?

Listen sind dazu da, sich und sein Leben in Krisenzeiten neu zu sortieren, oft verbunden mit dem Vorsatz, beim nächsten Mal alles besser zu machen. Mit der Projektion solcher Listen auf die Bühnenrückwand beginnt Aitana Corderos Tanzstück „Solo…?“. Zusammen mit ihren „The 3 Duets“ ist es beim Festival In Transit im Haus der Kulturen der Welt zu sehen, das 2009 unter dem Motto „Widerstand des Objekts“ steht. Obwohl der eigentliche Inhalt der Listen verborgen bleibt, verraten sie erstaunlich viel über die Ängste und Leidenschaften der Autorin. Gleichzeitig beginnen die Zuschauer, im Stillen ihre eigenen Listen zu machen.

Nach diesem Prolog bleibt die Bühne leer, bis die zierliche Tänzerin mit einem gewöhnlichen Kabel in der Hand hereinkommt. Sie konzentriert sich darauf, die weiße Schnur der Länge nach auszulegen, als folge sie einem geheimen Plan. Dann verlässt sie die Bühne und kommt mit einem zweiten Kabel zurück. Ständig in Bewegung, häuft sie an, was sich auf der Hinterbühne des Theaters angesammelt hat: verstaubte Lautsprecher und Monitore, defekte Laptops, Plastikeimer, billige Stühle, Wäscheklammern. Wie bei einer Installation erstellt sie aus diesen objets trouvés ein Kunstwerk und nährt mit jeder neuen Anschaffung die Unruhe derjenigen Zuschauer, die sich noch immer ein klassisches Tanzsolo erhoffen.

Doch Erwartungen zu erfüllen, ist Corderos Sache nicht. Lieber nimmt die in Madrid aufgewachsene, in Amsterdam lebende Tänzerin und Choreografin sie zum Anlass für Untersuchungen, die schon im Titel unmissverständliche Statements wie „I Would Like To Be Your Main Choice“ oder „Sex Me Not“ enthalten. So gesehen ist „Solo…?“ weniger Einlösung als Infragestellen eines Versprechens. Was heißt es, allein auf der Bühne zu sein? Verstärken oder schwächen die Objekte die Präsenz der Tänzerin?

Laptop demoliert

Corderos jüngste Produktion ist in gewisser Hinsicht Ergebnis eines Scheiterns. Das schmerzliche Ende einer Beziehung gerade hinter sich, das des Studiums schon in Aussicht, begab sich Cordero auf die Suche nach neuen Ausdrucksformen. Hatte sie bis dahin nur in größeren Formationen gearbeitet, reizte sie das Format des Solos. Doch wie von selbst begann sie dann, sich mit Objekten zu umgeben, als gelte es, ihre Einsamkeit zu kompensieren.

Inzwischen ist „Solo…?“ weit mehr als die künstlerische Aufarbeitung einer persönlichen Krise. Jenseits des zufällig Angesammelten legt sie auf ganz bestimmte Objekte Wert: Laptops zum Beispiel, Sinnbild für virtuelle Kommunikation, gleichzeitig für soziale Isolation. In „Solo…?“ werden sie plötzlich demoliert. Der überraschende Gewaltausbruch währt nur einen kurzen Moment, verfehlt seine Wirkung aber nicht: Nach dem beruhigenden Auf und Ab der Tänzerin schreckt die Zerstörung von Monitoren und Laptops das Publikum auf.

Cordero möchte ihre Performance jedoch keinesfalls als ästhetisierte Destruktionsfantasie oder plakative Entlarvung der digitalen Boheme verstanden wissen. Vielmehr geht es um die durchaus wörtlich zu nehmende Objektivierbarkeit von Leidenschaften und Gefühlen, wie sie sich in der intensiven Gefühlsentladung besonders eindrucksvoll vollzieht.

Dass man ein Gegenüber braucht – egal ob menschlicher oder gegenständlicher Natur – auf dieser einfachen Aussage gründet „Solo…?“. Das geht zwangsläufig an die Substanz der ausgestellten Dinge. Im Sinne von kill your darlings bringt Cordero Chaos in ihre Installation und lässt sich davon zu einer neuen Anordnung inspirieren. Ihr unterwirft sie sich nicht, begehrt auch nicht länger gegen sie auf. Im Gegenteil: Dem selbst geschaffenen Konglomerat nähert sich Cordero behutsam und beginnt es auf allen vieren zu durchqueren. Das ist nicht einfach, denn die Gegenstände gehorchen einem physikalischen Gesetz – wo ein Körper ist, kann kein zweiter sein.

Der verfügbare Körper

Auf ganz andere Weise verhandelt Cordero die Konfrontation von Subjekt und Objekt in „The 3 Duets“. Hier befindet sich der Körper selbst in transit – im Grenzgebiet zwischen Subjekt- und Objekthaftigkeit. Drei TänzerInnen bewegen Corderos regungslosen Körper erst gemeinsam, dann jeder für sich, reichen ihn weiter, tragen, rollen, schleifen, schütteln und zerren an ihm, behandeln ihn hektisch-grob, dann wieder hingebungsvoll-zärtlich. In stark stilisierter Form zeigen die vier kurzen Studien eine Spannbreite des zwischenmenschlichen, das heißt hier physischen Umgangs miteinander. Die Strukturen dieser Körperkommunikation legt Cordero frei, indem sie einen scheinbar bedingungslos verfügbaren Körper schafft, mit dem jeder machen kann, was er will.

Doch der Eindruck täuscht: In seiner individuellen Materialität und Trägheit leistet der Körper Widerstand. Ständig muss die Beziehung zwischen ihm und den anderen neu ausgehandelt werden. Selbst wenn beide Bedeutungen des englischen body mitschwingen, wird er in den drei Duetten ausdrücklich nicht als leblos-fremdbestimmt gezeigt. Dafür sorgen die Pausen zwischen den Parts, in denen Cordero aufsteht und den verrutschten Pulli zurechtzieht, als wäre nichts geschehen.