: Zwischen Rafting und Pediküre
Ruhe in Frieden: Die alte Jugendherberge ist tot. Das neue Konzept ist intimer und liberaler
Liederabende mit Klampfe und Lagerfeuerromantik, rigide Hausordnungen, Zapfenstreich und ruppige Herbergsväter – das sind Abziehbilder der Vergangenheit. Die alte Jugendherberge hat sich unter dem Zwang von Ökonomie und Zeitgeist verjüngen und modernisieren müssen. „Wir haben viel in die Hardware und die Software gesteckt“, sagt Knut Dinter, Pressesprecher beim Deutschen Jugendherbergswerk (DJH) in Detmold. Die Hardware, das sind kleinere Schlafräume mit vier bis sechs Betten, die über separate oder nahe gelegene Sanitäranlagen verfügen und mehr Privatsphäre bieten. Und das sind darüberhinaus Gemeinschaftsräume mit Bars und Computerplätzen.
Software bedeutet: liberale Hausregeln, lange Öffnungszeiten und leichtes Buchen übers Internet. Sowie vielfältige Sport- und Freizeitprogramme für die Gäste. Es gibt „Survival light“-Angebote und Kurse in Trendsportarten wie Rafting, Mountainbiking und Climbing. Oder eine Einführung in die Digitalfotografie und eine Didgeridoo-Offerte. Zwar lautet der vollständige Vereinsname nach wie vor „Deutsches Jugendherbergswerk für Jugendwandern und Jugendherbergen e. V.“, doch von seinen Wandergruppen hat sich der Verband inzwischen verabschiedet – aufgrund mangelnder Nachfrage.
Zwar sind Schulklassen immer noch zu 45 Prozent die Hauptnutzergruppe, doch sind die Jugendherbergen dabei, ihrer Raison d’Être, der Jugend, verlustig zu gehen: „Wir müssen feststellen“, windet sich Knut Dinter vom DJH, „dass sich die demografische Entwicklung nicht günstig für uns auswirkt.“ Im Klartext: weniger Schüler, weniger Klassen, weniger Übernachtungen. Und obendrein immer weniger Klassenfahrten, weil das Geld der Eltern nicht mehr so locker sitzt und Lehrer ihre Reisekosten selten erstattet bekommen.
Um den Rückgang zu kompensieren und die auslastungsarmen Ferienzeiten zu nutzen, hat sich das Jugendherbergswerk schon seit Jahren andere Standbeine zugelegt: Zum einen wurde das Geschäft mit Seminaren und Tagungen ausgeweitet. Zum anderen wird die Zielgruppe „junge Familie mit kleinen Kindern“ umworben.
Als der Volksschullehrer Richard Schirrmann mit einer kleinen Wanderschar im August 1909 in ein schweres Gewitter geriet und erst in einer dank der Ferien leeren Volksschule Quartier fand, machte es klick: „Plötzlich überfiel mich der Gedanke: Jedem wanderwichtigen Ort in Tagesmarschabständen gleich Schule und Turnhalle auch eine gastliche Jugendherberge zur Einkehr für die wanderfrohe Jugend Deutschlands ohne Unterschied.“ 1912 wurde auf Burg Altena im Sauerland die erste Jugendherberge, noch mit dreistöckigen Betten, eröffnet. Zwei Jahre später zählte man im Reichsgebiet bereits 535 Herbergen. Heute verfügt das DJH über 572 Häuser mit 76.000 Betten und zählt rund 10 Millionen Übernachtungen pro Jahr.
Doch gerade in größeren Städten werden die Jugendherbergen einerseits von Backpacker Hostels, andererseits von Billigsthotels in die Zange genommen. Deshalb setzen die Marketingstrategen auf die geschützte Marke „Jugendherberge“. Sie soll nicht nur eine preisgünstige Unterkunft bieten, sondern sich als Hort der Begegnung und Toleranz positionieren.
„Das DJH arbeitet für Ideale, nicht für Gewinne“, schreibt der Verband zum Thema Selbstverständnis. Zwar ist die multifunktionale Allroundjugendherberge noch immer anzutreffen, doch bemühen sich die Häuser zunehmend um eigene „Angebotsprofile“. So bietet die JH Hinsbeck am Niederrhein im eigenen Zirkuszelt Freizeiten mit Akrobatik, Clownerie, Fakir und Nagelbrett. In der JH Rurberg im Naturpark Nordeifel, spezialisiert auf Natur- und Abenteuersport, locken ein Hochseilgarten und eine Kletterwand sowie ein „Outdoor-Challenge“ für den Bau von Biwaks und Flößen. In achtzehn „Umweltstudienplätzen“ machen hauptberufliche Umweltpädagogen jährlich über 60.000 Schüler für „umweltverträgliches, sozialverantwortliches und wirtschaftlich vertretbares Handeln“ fit.
Selbst vor Wellness machen die Herbergen nicht Halt. Zum Beispiel die JH in Bad Driburg. „Businessberatung und Wellness für Männer“ (mit Anleitung zur Kleider- und Accessoirewahl sowie Maniküre/Pediküre) heißt ein dreitägiges Seminar und kostet 249 Euro. „Wir würden die Programme nicht ausschreiben, wenn sie nicht liefen“, sagt DJH-Pressesprecher Dinter und fügt augenzwinkernd hinzu, dass „Gesundheitserziehung“ als Vereinszweck sogar in der Satzung steht. Nachzulesen unter Paragraf 6, Absatz 2, Punkt 2.
Wer in einer Jugendherberge übernachten möchte, muss Mitglied im DJH sein. Jahresbeitrag für Junioren (bis 26 Jahre) 12, für Senioren bzw. Familien 20 Euro. Eine Übernachtung (Bettwäsche und Frühstück inklusive) kostet ca. 14,60 Euro. www.jugendherberge.deGÜNTER ERMLICH lebt als freier Autor in Bochum