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Archiv-Artikel

Kölner Narr mit Ausnahmestatus

1939 aus politischen Gründen zu „lebenslänglichem Redeverbot“ verurteilt, ließ sich Einzelkämpfer Küpper dennoch auf keinen Deal mit den Nazis ein

VON HERMANN RHEINDORF

Es liest sich wie der Anfang einer öffentlichen Selbsthinrichtung. 1939, auf einer Karnevalssitzung der Deutschen Arbeitsfront im vollbesetzten Kölner Gürzenich hebt der Büttenredner die rechte Hand zum Hitlergruß und sagt: „Su huh litt bei uns dr Dreck em Keller!“

Es ist die unkalkulierbare Schnüss von Kölns bestem und bekanntestem Redner Karl Küpper, seit 1927 als „dr Verdötschte“ (der Verrückte) in der Bütt. Ein kölsches Original mit kerniger Art und unverwechselbarer Powerstimme. Vor allem aber ein Narr mit Ausnahmestatus, der mit der vermeintlichen Rückendeckung des Volkes den Mächtigen die Leviten liest und auch nach mehrfacher Verwarnung nicht vor weiteren Affronts zurückschreckt.

Küpper ist kein Spaßmacher von Berufs wegen. Nur einmal im Jahr wirft der gelernte Buchdrucker aus dem Gereonsviertel das Narrenkostüm über. Im Gegensatz zum Festkomitee, das den Rosenmontagszug um den Preis formaler Unabhängigkeit Jahr für Jahr zur Nazi-Propagandaschau umfunktioniert, lässt sich der karnevalistische Einzelkämpfer auf keinen Deal mit der NSDAP ein. Doch er, der den Nazis das Parteiabzeichen vor die Füße wirft, wird trotzdem zu ihren Sitzungen eingeladen. Was heute eine Sitzung ohne Höhner und Viva Colonia ist, ist damals eine Sitzung ohne Karl Küpper.

Allerdings ist er der einzige Kölner Karnevalskünstler, der in der NS-Zeit aus politischen Gründen von einem Sondergericht zu „lebenslänglichem Redeverbot“ verurteilt wird: 1939 nach §2 des Heimtückegesetzes wegen Verächtlichmachung des Deutschen Grußes, mehrerer prominenter Nazis, der „Achse Rom-Berlin“, Verächtlichmachung von Kriegseinrichtungen und des Winterhilfswerks.

Erstaunlich sind Aussagen, wonach nur seine Popularität ihn vor Schlimmerem bewahrt habe. Küpper wird das Redeverbot „gnadenlos“ missachten – ohne direkte Folgen. Er muss sich täglich bei der Gestapo melden, aber auch dort wird er „gemocht“. Erst als er sicher ist, verhaftet zu werden, meldet er sich zur Armee.

Küpper wird im Fronttheater eingesetzt, um die rheinischen Kameraden bei Laune zu halten. Dafür wird das Redeverbot 1944 mit einem zünftigen „Heil Hitler!“ wieder aufgehoben (siehe Dokument unten). Auftritte in der NS-Radio-Unterhaltung macht er zunächst mit, lehnt sie dann aber mit dem Kommentar ab: „Die dunn do immer su komisch ‚Hallo‘ roofe“ (gemeint war Sieg Heil).

Mit dem Vormarsch der Amerikaner gerät er in Gefangenschaft, flieht und kehrt 1945 in das zerstörte Köln zurück. Es ist nicht mehr viel zum Anecken übrig, aber Küpper findet etwas:

Einer säht för mich: „En Kölle süht et ävver us. Doll. Do kann mr sich ohne Führer ävver nit mieh zerääch finge.“ Ich sage: Ich han keiner nühdig gehatt.“

Küpper findet einen Weg, sich durchzuschlagen, er organisiert einen Bus bei Ford und geht mit den „Vier Botze“ (mit den Vätern von Tommy Engel und Hans Süper) und dem Heidewitzka-Haudegen Karl Berbuer auf Gastspielreise, die Gage wird in Naturalien gezahlt. Nach der Währungsreform versucht er sich als Kaufmann und erleidet Schiffbruch. Die Familie beschließt die Eröffnung einer Kneipe zuerst in Höhenhaus und dann in Kalk. Hier kann er von seinem Ruhm leben. Küpper hält Hof – die Karnevalistenlegende zum Anfassen an der eigenen Theke. „Oft stehen wildfremde Menschen vor ihm und bedanken sich für seinen Mut in der Nazizeit“, sagt einer seiner beiden Söhne, Gerhard Albrecht. Aber die Familie leidet auch unter dem Phänomen, dass Vater „allen gehört“.

Seine Popularität ist nach wie vor enorm. Er ist gern gesehener Promi bei Benefizspielen und tritt beim Sechs-Tage-Rennen in der vollbesetzten Sporthalle auf. Bis 1960 steht er in der Bütt, insgesamt bringt er es auf 33 Jahre Karneval, fast immer zwei Reden in petto, 15.000 Orden hat er „zusammengequatscht“, so viel wie kein anderer. Der Wermutstropfen: Bis zum Schluss bleibt ihm die Tür zur TV-Sitzung versperrt, weil er auf Redefreiheit pocht und auch in der neuen Bundesrepublik noch nachkartet:

„Grüss Gott. Fröher heß dat: Heil Hitler. Dat ist dasselbe, kütt allebeids aus Bayern.“

Bei Küpper bekommt jeder sein Fett weg, ohne Rücksicht auf die jeweiligen Machtverhältnisse. Der Charakter seiner Schmähungen ist nach dem Krieg nicht anders als vor dem Krieg. Schon zum Missfallen der Nazis sprach Küpper über die Sorgen der „kleinen Leute“. Warum nicht auch im Hungerwinter 1945/1946 unter englischer Besatzung über Nahrungsmittelknappheit reden. In Köln kommt es zu Hungerdemonstrationen (!), die Alliierten kündigen über Radio Lebensmittelhilfen an. Dazu Küpper:

„Bei mir läuf alles Okeh. Minge Radioapparat hält mich am fresse! Jo, watt meint ihr, watt do nitt al- les durchkütt: Ähdäppel uss England ... Wie? gläuvt ihr datt nit? Ich och nit! Mehl uss Kanada... Weizen uss Amerika. Kahle Kaffee für Weihnachte... un syndetische Botter uss Briketts. HöHö! Ich baue mir jetz ene Verstärker in mieh Radio dann halden ich janz Kölle am fresse. Dann brucht ihr kein Lebenmit- telmarke mieh ze stelle ihr sid evver och blööd, alle Marke op einmol ze stelle, Ihr künnt och der Hals nit voll kriege, jenau wie die Nazis: Et eesch Millione von Marke stelle, un nohher künne se sich dr verlängerte Rögge domit affputze.“

Stichwort Nestbeschmutzung: Als „Verdötschter im Koreakrieg“ trifft er den „chinesischen Oberhäuptling Nasetzung“ (Mao Tse Tung) und zeigt ihm Bilder vom Kölner Rosenmontagszug:

– „Ouuih!, säht hä, „wuivill Divisionen habben diese Herrscher?“ – Ich sage: „Ehrengarde, Prinzengarde, Luftflotte, Rote Funken, Blaue Funken.“ – „Werry goud“, säht hä, „Ich bieten Ihnen eine Pakt an.“ – Ich sage: „Mehr han he Pack jenog eröm laufe.“

Mit Blick auf die DDR-Regierung sagt Küpper:

„Ich wor et letz en dr Ostzone 1938, do wor noch alles ganz, hück ess alles ganz anders. De Volkspolizei, datt hätt ävver met SS nix zo dunn, datt sieht nur esu uss. Han die mich met op die Wach jenomme. Die wullten mich matschig maache. Setz ich mich hin un wollt ene Breef schrieve. Fröch mich der Volkspolizist: „Was machen Sie da?“ Ich sage: „Ich schrieve nen Breef.“ Säht hä: „An wen schreiben Sie den Brief?“ Ich sage: An mich! Meint hä: „Was steht denn in dem Brief?“ Ich sage: „Datt weiss ich doch nit, dä krieg ich doch murje eets.“

Karl Küpper war kein Widerstandskämpfer, er sah sich auch selbst niemals in dieser Rolle. Seine Texte waren weder durchgängig politisch, noch politisch korrekt. Er war ein Karnevalist, der die ihm zustehende „Narrenfreiheit“ nutzte und bis an ihre Grenzen führte. Den Preis, den er dafür bezahlte, war der Verzicht auf die ganz große Medienkarriere. Er blieb der Held der Säle. Karl Küpper starb 1970 im Alter von 64 Jahren.

In seinen Reden ist für viele auch heute noch etwas dabei. Es ist eine anschauliche Quelle für das Stimmungsbarometer in den Jahren vor und nach dem Krieg. Kölsch-Interessierte finden ein seltenes Beispiel für das Subversive, das der rheinischen Mentalität nachgesagt wird, Stilkundlern wird der Hang zum kölsch-kafkaesken, zum drei Mal um die Ecke Gedachten, auffallen.

In der Fachwelt wird sein Name in einem Atemzug mit großen Kabarettisten wie Werner Finck genannt. Die Kölner Stunksitzung und auch die AG Arsch huh! haben ihn in der Vergangenheit geehrt. Auch altgedienten Karnevalisten in Köln beschleicht inzwischen Stolz, wenn sie den Namen Karl Küpper hören. Eine Würdigung hat er hier noch nicht erfahren.