: Zwei geradlinige Sturköppe
SABINE UND INGA Dank der Bodenständigkeit ihrer Filmfigur Inga Lürsen steigt Sabine Postel still und leise nach zwölf Dienstjahren in die Top Ten der meist ermittelnden „Tatort“-Kommissare auf: „Wir sind gut, aber bescheiden“, sagt sie
Sabine Postel
VON JAN FREITAG
Es dauert einen kurzen Moment, um sich an die ungewohnte Heiterkeit zu gewöhnen: Sabine Postel kann lachen, richtig herzhaft sogar, anschwellend zum Gelächter, über Witze, Tragik, das Leben. Richtig mitreißend ist sie. Was insofern bemerkenswert ist, weil man die Schauspielerin in ihrer zweiten, der bekannteren televisionären Identität vor allem mit hängenden Mundwinkeln kennt.
Hauptkommissarin Inga Lürsen – natürlich Single, natürlich bindungsgestört, natürlich ganz und gar Beruf wie es sich gehört für den „Tatort“ – wird schließlich gern als nüchtern, intelligent, rational und furchtbar kopfgesteuert wahrgenommen, bis hin zum Trübsinn. Wesenszüge, die den Chefermittlern in Deutschlands beliebtester, bester Krimiserie eben anhaften: gutes Rüstzeug bei Mordfällen zwar, entsprechen sie aber in etwa dem Entertainmentfaktor des „Wort zum Sonntag“. Und was gibt’s da groß zu lachen?
Aber ist das nur Sabine Postels fiktionales Alter Ego oder doch auch Teil der real existierenden Schauspielerin dahinter? Zum Wohle der Glaubwürdigkeit, antwortet sie und knabbert einen Oma-Keks vom guten Porzellanservice, „stecken ja immer locker 50 Prozent der eigenen Persönlichkeit in einer Rolle“. Bei Inga Lürsen, der Kunstfigur ohne Privatheit, Glamour und Exzentrik, steigern sie sich nochmals „bis hin zur Deckungsgleichheit“.
Sogar allein erziehend sind sie beide, in Niedersachsen geboren, „geradlinige Sturköppe“, wie nicht nur Sabine Postel die Menschen ländlicher Regionen wie ihrer beschreibt, uneitel und manchmal schwer zugänglich. Auch wenn es nicht sonderlich sexy klingt: „Wir sind beide eher bodenständig.“ Kein Wunder, dass ihr schlichtes Erscheinungsbild in Jeans und Bluse ein wenig deplatziert wirkt, in diesem Gesprächsambiente: das noble Hotel Atlantic an Hamburgs Außenalster. Umringt von schweren Eichenmöbeln und alten Schinken hanseatischer Honoratioren geht die zierliche Frau mit den straßenköterblonden Haaren fast unter. Der Ort atmet Geschichte, Kaufmannsstolz, Prunksucht und von all dem zu viel für jemanden, der sich zu etwas bekennt, das in der Spaßgesellschaft einem Makel gleichkommt: zur Normalität.
Noch so ein Attribut, das der 55 Jahre alte Fan von Spargel und Schinken, Tina Turner und Familienidylle mit seiner Rolle teilt, der rustikalen Kommissarin, rückenleidend und stur, aber doch leicht bieder mit rotem Lippenstift und akkurater Föhnfrisur. Ganz Sabine Postel. Doch was, fragt sie mehr sich selbst, sei dagegen einzuwenden, normal zu sein? Gerade in Zeiten der Krise, wo Menschen nicht nur als Zuschauer nach fiktivem Halt suchen im Chaos des Wirklichen. Nach Verlass, Beständigkeit, Integrität.
Und authentisch, normal, beständig, integer, verlässlich zu arbeiten, sei Sabine Postel ebenso wie Inga Lürsen nun mal zutiefst zueigen wie das uneitle Äußere, die bürgerliche Ausstrahlung, der unscheinbare Gestus. Sie sind eben nicht identisch, aber aus ähnlichem Holz, die leicht spröde Frau Postel aus Neustadt am Rübenberge nordwestlich von Hannover und die noch sprödere Frau Lürsen ganz aus der Nähe. Gemeinsam bringen sie es nun auf stolze 20 Fälle der beliebtesten deutschen Krimiserie. Ein Jubiläum, das die Bremer Stadtbeamten aufrücken lässt in die ewigen Top Ten der einsatzältesten Mordaufklärer beim Quotengaranten der ARD und aufs Siegertreppchen der altgedientesten im Amt.
Dass nach zwölf Dienstjahren dennoch andere im Rampenlicht stehen, die Furtwänglers, Prahls, Sawatzkis oder Berendts, stört sie dennoch wenig. „Wir sind eben gut“, Sabine Postel grinst, „aber bescheiden“. In der Tat, denn die Bremer Ausgabe mit Außendienststelle Bremerhaven mit einer Frau an der Ermittlungsspitze, hat sich zur echten Marke entwickelt, bei der das soziokulturelle Umfeld stark im Fokus steht. Immigration und Volkswirtschaft, Ehrenmord und Ausgrenzung, Umwelt, Arbeitslosigkeit oder Extremismus aller Schattierungen. Oft vor realem Hintergrund wie zuletzt in „Schiffe versenken“, gern mit sperrigen Themen wie heimliche Homosexualität in der runden Folge „Tote Männer“.
Das ist typisch für den links beleumundeten Sender einer pragmatischen Kaufmannsstadt im Norden, aber noch lange kein Grund für Sabine Postel, das leichte Fach zu meiden. Denn natürlich, „also bitte“, ist sie nicht gar so melancholisch und ernst wie ihre Inga Lürsen und überdies auf Abwechslung bedacht. Erst voriges Jahr war sie an der Seite Harald Schmidts auf dem „Traumschiff“ zu sehen und hatte auch sonst in 27 Jahren Dreherfahrung keinerlei Scheu vor harmlosen Stoffen, die schon mal „Erdbeereis mit Liebe“ heißen. Der bisweilen rüden Inga Lürsen zum Trotz, hat ihr das den Ruf der Betulichkeit eingebracht, denn finstere Rollen spielt sie – auch in Ermangelung entsprechender Angebote – nie.
Optisch irgendwo zwischen Frau Sommer, wenn alle Tassen mal wieder halb voll blieben, und Günther Jauch bei einer falschen Antwort, gilt die zierliche Blonde folglich als Sauberfrau der Branche, die schon als reisende Ratte im berühmten Kinderhörspiel „Der Wind in den Weiden“ eine biedere Bedenkenträgerin gab und 30 Jahre später vom Mediendienst Prisma-Online als „ideale und ewig patente Mama aus der Werbung“ beschrieben wird.
„Um Gottes Willen!“, entfährt es ihr da. Bei derlei Fremdanalysen kriegt die früh verwitwete Sabine Postel auch privat jene miese Laune, die ihre kriminalistische Hauptrolle so kennzeichnet. Immerhin darf die sich nach Jahren der Abstinenz bald neu verlieben, die amourösen Dreharbeiten laufen bereits, ein Hauch von Leidenschaft im technizistisch reduzierten Arbeitsleben. „Endlich“, frohlockt ihre Darstellerin. Dann darf auch Inga Lürsen mal wieder herzhaft lachen. Und wer es noch nicht wusste: Das kann sie wirklich.