kabinenpredigt : Kiontke am Ball
In zwölf Jahren Berliner Fußball in der Mannschaft Die Taktiker a.k.a. SV Treptow 46 hab ich schon allerhand Delikte erlebt: Körperverletzung („Da hilft nur amputieren“), Rufmord („Spiel ab, du Sau!“), Ordnungswahn („Ruf die Bullen, schnell“) und echte Fans („Mein Freund ist Abwehrchef bei den Taktikern“). Dinge des normalen Lebens also. Und Betrug?
Ein komisches Verhältnis zum Spiel haben viele Berliner Fußball-Betroffene – es ist nicht so sehr typisch, dass Schiedsrichter Hoyzer Spiele verschoben hat. Typisch ist wohl eher, dass er aus Berlin kommt. Man soll sich über den Berliner Fußball eben nicht täuschen.
Letzte Woche wurde an dieser Stelle behauptet, wenn man in Berlin wohne, hätte man den ganzen Tag „Ha, ho, he, Hertha BSC“ zu rufen. Die Hertha-Fans, die am Samstag mit der U-Bahn zum Olympiastadion fahren, fänden das wohl spitze. Tatsächlich heißt es nämlich bei denen – im weniger reimsicheren Fan-Idiom: „Titten/ficken – Hertha BSC!“
Geschmacksfragen beiseite: Einen typischen Fall von Schiebung im Berliner Stil erlebte ich auf einem Turnier im Wedding. Eine Mannschaft vom Kreuzberger Tommy-Weisbecker-Haus verlor gegen uns 0:3, ging anschließend zur stinkbesoffenen Turnierleitung und behauptete, sie hätten gerade 3:0 gewonnen. Und das wurde von den beschwipsten Veranstaltern sofort akzeptiert – mit einem einleuchtenden Argument: „Die waren zuerst da.“ Zur Rede gestellt, meinte der Kapitän der Verlierer: „Ach, wir dachten, ihr seid doch schon weiter. Wir sind doch alles Linke und müssen zusammenhalten.“
Da kann man nur sagen: Betrug fängt im Kleinen an! Anderes Beispiel: Elfmeter-Schinden. Es gibt Stürmer, die ziehen dem gegnerischen Verteidiger im Fallen grundsätzlich noch die Hose in die Knie. So was macht doch keiner freiwillig, denkt jeder Unparteiische – und pfeift Elfmeter.
Wir sehen, Fußball an sich ist schon Betrug, es geht schließlich auch ohne Geld schon um alles. „Im Fußball spiegelt sich das Leben“, sagt Richard vom FC Kreuzberg. Wenn das stimmt – siehe oben –, wundert es einen, dass überhaupt jemand freiwillig Fußball spielt. Oder, andersrum: freiwillig lebt. JÜRGEN KIONTKE