: Kuckuck oder nicht Kuckuck?
Wenn ein Schreibtischvater das Ergebnis des Gentests erfährt. Ein Solo-Dramolett
Wenn der Vorhang aufwärts rauscht, sehen wir einen Mann um die vierzig. Er sitzt am Schreibtisch vor einem Laptop und einer Flasche Rotwein. Hinter ihm wie eine Rückwand die Front einer gigantischen Kuckucksuhr. Von der Decke hängt an einem Fleischerhaken die Nabelschnur eines Elefanten herab. Brille, Vollbart, brauner Pullover: Der Mann sieht aus wie das Klischeebild eines Oberstudienrats. Das Publikum will angesichts dessen tumultartig Reißaus nehmen. Da beginnt der Mann seinen Monolog.
Mann: Seit zehn Jahren schreibe ich diese Kolumne, Monat für Monat. Oder ist es eine Glosse? Ist auch egal. Jetzt erst recht. Wie habe ich mich nur so in Karin täuschen können? Diese Niedertracht, diese Schande! Dieses Luder!
Er trinkt. Dann hält er – pathetisch wie ein klassischer Hamlet-Darsteller den Schädel Yoricks –einen Brief in der Hand.
Mann: Meins oder nicht meins? Ob Gene im Geblüt … Blöder Kalauer. Und sowieso zu spät.
(Er liest den Absender:) „Papacheck“! Papacheck ante portas. Nicht ante. Post! Worauf habe ich mich da eingelassen? Vaterschaftstest. Gibt mir den Rest. Warum wollte ich Idiot es wissen? Na, warum wohl. Ist doch ganz normal. Nichts Besonderes. Jeder Vater kennt diese Zweifel. „Das ist ein weiser Mann, der sein eigenes Kind kennt.“ Auch Shakespeare. Ich hab mir eingeredet, es wäre ein netter Gag. Wollte ich in der Kolumne verwenden.
In einem schwächlichen Sound hört man den Groove des Soulklassikers „Papa was a rolling stone“. Es ist der Klingelton seines Mobiltelefons. Er geht nicht ran, sondern schenkt nach.
Mann: Gleich nach der Geburt von Kai hatte ich manchmal so ein merkwürdiges Gefühl. Kein Verdacht, nur ein Gefühl. Hab ich dann verdrängt. Und deshalb die Idee gehabt, über das Vatersein zu schreiben? Ab und zu hab ich den Kleinen angestarrt, um Ähnlichkeiten zu entdecken. Weiß ich noch genau.
Als ich einmal mit ihm auf dem Arm vorm Spiegel stand, kam Karin aus der Küche und wollte sich ausschütten vor Lachen. Doch, doch, sagte sie, die Nase ist von dir. Die Nase! Ha! So eine erbarmungslose Unverfrorenheit. „Die Nase eines Mannes ist wie sein Johannes“, hätte sie noch hinzufügen müssen! Diese Pottsau, diese elende. Ich war damals einer der Ersten, ach was, der Erste, der in einer auflagenstarken Zeitschrift über die kleinen Ereignisse im Leben eines Kleinfamilienvaters erzählte. Anekdoten und Episoden rund ums Baby. Ein völlig anderer Kosmos. Können Kinderlose gar nicht ermessen. Die Chefredakteurin fand’s niedlich: Schmunzelfaktor hoch zehn, sagte sie in der nächsten Konferenz, gratuliere. Der naive Ton, köstlich! Aber auch viel Selbstironie. Gerade die liebenswerte Mischung macht’s. Die Kolumne kriegte die meisten Leserbriefe! Gleich nach der ersten Folge. „Faszinierend lebensnah, witzig und geistreich“. Wickeln, baden, killekille. Genau, ich werde sie killen. Karin! Hat sich ausgegrient, hat sich ausgekarint!
Leise hebt „Father and Son“ von Cat Stevens an, wird lauter, bis einige Zeilen zu verstehen sind: „It’s not time / to make a change / just relax / take it easy …“. Dann macht sich die Kuckucksuhr bemerkbar: Das Fenster öffnet sich, eine Gestalt im Kuckuckskostüm fährt nach vorne und ruft: „Kuckuck“. Der Mann schenkt dem keine Beachtung, dreht sich nicht um. Trinkt. Zählt aber die Stunden mit.
Mann: … elf, zwölf … zwölf Uhr. Geisterstunde. Karin liegt längst im Bett. Ahnt nichts. Das Bett haben wir vom Vorschuss für den ersten Kolumnenband gekauft. Wie abgeschmackt! Realsatire mit tieferer Bedeutung. Und dann kam Katharina. Ich dachte noch, uiuiui, neues Bett und gleich hat’s Peng gemacht. Heute Nacht macht es Peng, und zwar laut. Sehr laut. Die Kolumne wurde immer besser, immer erfolgreicher. Das Highlight war die Folge, als ich das Einbuddeln der Plazenta geschildert habe. Im Garten neben den beiden Apfelbäumen. Intelligent, distanziert, aber mit Herz. Einfühlsam!
Die Chefin verdoppelte das Honorar. So gut wird kein anderer freier Mitarbeiter bezahlt. Die Buchausgabe war in der vierten Auflage, Kai im Kindergarten. Viele der Mütter dort wussten, dass ich das bin, dass ich schreibe, der Name stand ja auf den Adressenlisten. Oder ich hörte sie tuscheln: Ist das nicht der …? Ich sah’s in ihren Augen blitzen: So einen Gatten hätten sie auch gerne gehabt. So einen netten, liebevollen. Gatte, ein Dreck. Inzwischen gab es bundesweit Konkurrenz, auch einige Tageszeitungen zogen nach. Und Karin? Karin fing wieder an zu arbeiten. Sie wolle nicht aufs Nurmuttersein reduziert werden, sagte sie. Und hatte mein Vaterwerden ausradiert! Katharina erinnerte an ihre Großmutter als Kind. Großmutter mütterlicherseits! Konnte man auf Familienfotos vergleichen.
Der Mann knüpft aus der Nabelschnur eine Schlinge. Prüft die Stabilität. Dann flitscht sie auf und ab wie ein Gummiband.
Mann: Sollte ich nicht das alles als Installation patentieren lassen? Titel: „Wolkenkuckucksheim“. – Ein Scherz. Jämmerlich missglückt. Dafür reicht’s noch. Wie immer.
Er entkorkt eine zweite Flasche. Die Gestalt im Kuckuckskostüm wird erneut aus der Uhr nach vorne geschoben. Jetzt mit Gitarre. Dilettantisch sich selbst begleitend beginnt er beschwingt, einen Song von Funny van Dannen zu singen:
Gestalt im Kuckuckskostüm: „Bitte mach mir ein Kind, sagen so viele Frau’n / Weil Kinder die Zukunft sind, in die wir gerne schau’n / Der Mann sagt: Okay, wird sofort gemacht / Und nachher finden sie, das hat’s jetzt voll gebracht.“
Mann: ‚Das hat’s jetzt voll gebracht‘. Tata, tata, tataaaa! (Trinkt) Und wie heißt der Mann, der okay gesagt hat? Wer ist es? Das wird sie büßen! Rache!!
Gestalt im Kuckuckskostüm: „Das macht so irre glücklich und entspannt im Nu / Und beantwortet die Frage: Was kann ich für Deutschland tun?“
Mann: Für Deutschland? Tu ich gar nüscht. Steuern zahlen ja, nicht zu knapp. Und nicht zuletzt für die zwei Millionen verkauften Bücher über vergnügliche Vaterfreuden. Pah! Und Prost!
Kuckuck: „Doch manche Männer sind anders, die sind unsozial / Die wollen sich nicht vermehren, das ist denen egal / Und wenn die Frauen sie bitten, hört man sie verneinen / Baby, sei mir nicht böse, blas mir lieber einen“.
Mann: So machen wir’s. Das ist die Lösung. Jetzt wird ihr der Marsch geblasen. Jetzt werden andere Seiten aufgezogen. Neuer Name, neue Art von Kolumne. Hahnreierei-Faktor hoch minus zehn! Jetzt geht es andersrum.
Er schiebt den Laptop zurecht und fängt an zu tippen. Das Publikum hat sich längst zum Lachen in den Keller zurückgezogen, wo eine gut sortierte Bar weder Wünsche noch Fragen offen lässt. DIETRICH ZUR NEDDEN