: „Jeder Dorfpolizist darf das“
Wenn es Hinweise auf einen drohenden Terroranschlag gibt, muss das Bundeskriminalamt präventiv handeln können, sagt BKA-Chef Jörg Ziercke
INTERVIEW CHRISTIAN RATH
taz: Geben Sie auf, Herr Ziercke?
Jörg Ziercke: Wie bitte?
Neue Befugnisse für das Bundeskriminalamt wird es wohl so schnell nicht geben, nachdem die Föderalismuskommission gescheitert ist.
Das sehe ich anders. Die Stärkung des Bundeskriminalamtes bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist nach wie vor ganz oben auf der Agenda – egal ob mit oder ohne Föderalismusreform.
Was soll das BKA künftig können, was es jetzt nicht kann?
Das BKA hat bisher keine präventiven Befugnisse, ist also nicht für die Abwehr von Gefahren zuständig. Das muss sich im Bereich des internationalen Terrorismus ändern. Wenn es Hinweise auf einen drohenden Anschlag gibt, muss das BKA handeln können. Jeder Dorfpolizist darf Gefahren abwehren, nur wir nicht. Das will mir nicht in den Kopf.
Für die Gefahrenabwehr sind die Landespolizeien zuständig, einschließlich 16 leistungsfähiger Landeskriminalämter. Nennen Sie doch bitte mal ein Beispiel, wo das nicht genügt.
Gerne. Da bekamen wir etwa aus den Niederlanden den Hinweis, dass eine Gruppe gefährlicher Islamisten aus Deutschland in die Niederlande eingereist ist. Doch die dortige Polizei setzt sie sofort in den nächsten Zug zurück. Wo in Deutschland die Personen aussteigen werden, wissen wir nicht. Also ist auch unklar, welche Landespolizei für die Überwachung zuständig wäre. Der Zug ist aber schon abgefahren. Da muss das BKA schnell handeln.
Wie oft gibt es denn solche Konstellationen? Die Länder sagen, solche Beispiele seien bloß „hypothetisch“.
Das stimmt nicht. Es gibt Monate, in denen wir sieben oder acht Hinweise aus dem Ausland bekommen, die eine sofortige Reaktion erfordern.
Und wie oft kam es wegen der Zuständigkeit der Länder zu Verzögerungen?
Wir führen darüber keine Statistik. Aber es gibt immer wieder Reibungsverluste.
Sind deshalb auch präventive Polizeimaßnahmen gescheitert?
Mir ist kein Fall bekannt – zum Glück. Aber wenn hundert Mal nichts passiert ist, kann es beim 101. Mal doch schief gehen. Wir können doch mit einer Reform nicht warten, bis wegen solcher Probleme ein verheerender Anschlag gelingt.
Würde dem BKA eine Eilkompetenz genügen, die erlischt, wenn die Länder in der Lage sind, selbst einzugreifen?
Nein. Das BKA sollte generell Kompetenzen für die internationale Terrorgefahrenabwehr haben. Denn die alleinige Länderzuständigkeit führt auch zu unnötigen Problemen, wenn Gefährder von einem Bundesland ins andere wechseln. Oft gibt es auch Diskussionen zwischen Bund und Ländern, wer überhaupt ein Gefährder ist und wer nicht. Und bei bestimmten Fallkonstellationen können wir auch nicht alle Informationen an die Länder weitergeben, die wir von Geheimdiensten aus dem Ausland erhalten. Je mehr Mitwisser wir haben, desto größer ist die Gefahr, dass es undichte Stellen gibt.
Seit Dezember gibt es in Berlin-Treptow ein Lagezentrum zur Terrorabwehr. Laut Otto Schily können BKA und Länderpolizeien hier „Informationsaustausch in Echtzeit“ betreiben. Genügt das nicht?
Das neue Lagezentrum ist sehr gut. Es gibt aber Situationen, wo man operativ sofort handeln muss, weil eine Gefahr unmittelbar bevorsteht. Da genügt es nicht, dass der Informationsaustausch deutlich besser und schneller funktioniert.
Wenn das BKA nun auch Präventivbefugnisse bekäme, wie viel zusätzliche Leute bräuchten Sie?
Das BKA bräuchte nach meiner jetzigen Einschätzung kein zusätzliches Personal. Wir haben bereits ein mobiles Einsatzkommando mit 120 Mann in Bonn-Meckenheim. Dieses können wir auch noch vergrößern, wenn wir intern unsere Prioritäten verändern.
Angenommen, es kommt ein Hinweis, dass ein Gefährder bald die tschechische Grenze überquert und beschattet werden muss. Da sind Sie mit Ihrem Einsatzkommando in Meckenheim doch etwas abseits?
Nein, das kann ganz schnell gehen: rein in den Hubschrauber und raus in den Einsatz.
Läge es nicht näher, viele BKA-Außenstellen im ganzen Bundesgebiet zu gründen? Auch das FBI hat ja Ableger in allen US-Bundesstaaten.
Es gibt solche Pläne nicht. Bei wirklichen Engpässen könnten wir die Länder auch für ein bis zwei Tage um Unterstützung bitten. Im Übrigen werden wir im Rahmen unserer Einsatzstrategie immer die Landespolizeien einbeziehen. Es geht hier nicht um Konkurrenz, sondern um Kooperation.
Das BKA soll für Gefahrenabwehr zuständig sein, um Entscheidungen zu beschleunigen – aber weil Sie oft weit weg vom Geschehen sind, müssen Sie dann die Länder um Unterstützung bitten …
Das ist kein Widerspruch. Entscheidungen müssen eben schnell getroffen werden. Es ist tägliches Geschäft der Polizei, dass sie sich bei solchen Einsätzen gegenseitig unterstützt. Bei einer anschließenden Strafverfolgung hat dann oft ohnehin das BKA die Federführung. Da macht es Sinn, dass das BKA gleich von Beginn an zuständig ist und die Zuständigkeit nicht wechselt.
Die Länder haben aber Angst vor einer Zentralisierung der Polizei. Fast alle Landesinnenminister lehnen Ihre Pläne ab.
Auf der Fachebene sieht das ganz anders aus. In den Landeskriminalämtern versteht man meine Argumente gut.
Sie waren bis vor einem Jahr im Kieler Innenministerium für die Landespolizei zuständig. Sie müssten deshalb auch Sorgen nachvollziehen können, dass die Bundesländer bald nur noch für Ladendiebstahl und Streit in Kneipen zuständig sind?
So etwas ist doch nicht ansatzweise geplant. Es geht eben nicht darum, neue zentrale Strukturen zu schaffen, wie etwa in den USA mit dem Department of Homeland Security. Wichtig ist vielmehr: bessere Zusammenarbeit, schnellerer Informationsaustausch, Optimierung der Abläufe. Das wollen die Länder, das will auch der Bund. Wenn das BKA in einem Teilbereich ergänzend zu den Länderpolizeien Präventivbefugnisse bekäme, würde das die Gewichte zwischen Bund und Ländern nicht verschieben. Das BKA hat 5.000 Mitarbeiter und die Länder 230.000 Polizisten.