: Strampeln für den Fortschritt
MOBIL OHNE AUTO Am Sonntag nächster Woche soll Hamburg autofrei sein. Busse und Bahnen im HVV sind kostenlos, die Geschäfte geöffnet und die Straßen voller Radfahrer
Umweltsenatorin Anja Hajduk vor einem Jahr
VON SVEN-MICHAEL VEIT
Die Räder sind bereits da. So wie das mit der Nummer 8748, das zusammen mit 999 anderen roten Stadträdern in Lagerschuppen am Bahnhof Altona auf seinen Einsatz als Leihfahrrad wartet. Auch etwa 50 der geplanten mehr als 70 Leihstationen im Hamburger Stadtgebiet sind bereits errichtet, „aber das Gesamtsystem ist leider noch nicht einsatzfähig“, sagt Enno Isermann, Sprecher der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU). Anfang Mai bereits sollten die 1.000 roten Leihfahrräder der Bahn für eine geringe Gebühr einsatzbereit sein, jetzt wird es wohl Juli werden. Lieferschwierigkeiten bei den Kassenautomaten sowie das Finden und Herrichten von Standorten haben zu Verzögerungen geführt.
Das Leihrad-System war eine der Ankündigungen von Umweltsenatorin Anja Hajduk bei der Fahrrad-Sternfahrt am 15. Juni 2008. Damals war die am 7. Mai gerade erst ins Amt gekommene Grüne als erstes Senatsmitglied seit ihrem GAL-Vorgänger Alexander Porschke 2001 am Aktionstag „Mobil ohne Auto“ mitgeradelt. „Hamburg soll eine fahrradfreundliche Stadt werden“, hatte sie auf der Abschlusskundgebung vor mehr als 1.000 Radlern in der Hamburger Innenstadt versprochen und hinzugefügt: „Ich werde mich daran messen lassen. Es wird anders werden.“ Nach einem Jahr gibt es am kommenden Sonntag die Fahrrad-Sternfahrt 2009, und die Senatorin will wieder in die Pedale treten.
Viel ist in diesen zwölf Monaten allerdings nicht anders geworden. Nach Hajduks erstem Amtsjahr seien in der Hamburger Verkehrspolitik „nirgendwo Fortschritte deutlich geworden“, klagt Torsten Prinzlin, stellvertretender Vorsitzender des ADFC Hamburg, dabei sei „Fahrradförderung auch Klimaschutz“. „Hamburgs Radfahrer sind unzufrieden“, meint Prinzlin.
Behördensprecher Isermann beschwichtigt: Die BSU sei bei über 70 Einzelmaßnahmen in Abstimmung mit den sieben Hamburger Bezirken. Demnächst werde mit dem Bau von zwei Velorouten begonnen: vom Alten Elbtunnel durch den Hafen nach Wilhelmsburg und von Barmbek nach Bramfeld. Auch werde die viel befahrene Stresemannstraße ab Juli vom Holstenbahnhof stadtauswärts Richtung Autobahnauffahrt Bahrenfeld radlerfreundlich umgebaut.
Wie immer, wenn gebaut werden müsse, gehe die Umsetzung langsamer voran als wünschenswert, bedauert Isermann. Aber die von Hajduk angekündigte radlerfreundliche Ausschilderung eines „grünen Rings von mehr als 100 Kilometern Länge“ von Teufelsbrück bis Jenfeld werde dieser Tage abgeschlossen. Denn Hamburg mit seinen vielen Grünzügen und Gewässern könnte „eigentlich die ideale Fahrradstadt sein“, weiß Hajduk. Im Alltag allerdings sei das Radfahren in der Hansestadt „oft unattraktiv, unbequem oder sogar gefährlich“. Das wolle sie ändern mit dem Ziel, den Anteil des alltäglichen Radverkehrs in der Stadt „bis 2015 zu verdoppeln“.
Zurzeit wird knapp jeder zehnte Weg in der Stadt mit dem Rad zurückgelegt, in sechs Jahren soll es jeder fünfte sein. Dazu sollen mit einem 1000-Bügel-Programm entsprechend viele Radparkplätze zum Beispiel an Haupteinkaufsstraßen geschaffen werden. Letztlich kämen auch die geplanten Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung wie die Umweltzone und die sieben Shared-Space-Projekten den Radlern zugute.
Zudem soll bald überall dort, wo es technisch möglich ist, Fahrradfahrern die Benutzung der Fahrbahn erlaubt werden. Ein Thema das auch dem Rad-Lobbyisten Prinzlin am Herzen liegt: „Die Radwegebenutzungspflicht, die Radler daran hindert, bei zu schmalen Radwegen auf die Straße auszuweichen, muss weg“, sagt er. „Um die Diskriminierung von Fahrradfahrern endlich abzubauen.“