: Menschen im Schutt, das Alaaf auf den Lippen
Der Kölner Fotograf Hermann Claasen dokumentierte den ersten Rosenmontagszug nach dem Krieg. Seine Bilder zeigen Menschen in einer Trümmerwüste und ihr verzweifelter Versuch, ein wenig Normalität zu behaupten
Jeder Mensch hat eine erste Erinnerung, meine war der Blick aus unserem Hochhaus in der Krefelder Innenstadt. Dort draußen schlängelte sich lärmend der Rosenmontagszug durch eine aufgeräumte Trümmerwüste. Viele Jahre später – ich lebte inzwischen in Köln – fiel mir ein Buch in die Hände, deren Fotos für mich heute noch zu den eindrücklichsten Zeugnissen des Krieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit im Rheinland zählen. Es war „Nichts erinnert mehr an Frieden“ (DuMont) mit den Bildern des Kölner Fotografen Hermann Claasen.
Durch seine Gehbehinderung vom Kriegsdienst befreit, fotografierte Claasen im Krieg unter Lebensgefahr die zerstörte Stadt. Seine Bilder zeigen erschöpfte Menschen nach Bombenangriffen, verschüchterte Hitlerjungen und Trümmerfrauen bei Aufräumarbeiten. Und dann, beim Durchblättern, fand ich die Bilder, die meine frühe Erinnerung wachriefen: Bilder vom ersten Karneval in Köln nach dem Krieg, 1949. Auf den Fotos sieht man Menschen, völlig ausgelassen, einige kostümiert, manche sichtlich betrunken, andere „in Zivil“ mit Frohsinnsmaske, die inmitten dieser noch gar nicht aufgeräumten Trümmerwüste stehen und dem ersten Rosenmontagszug zujubeln.
Auf einem Trümmerberg aus Stahlträgern, Ziegeln und Schutt, irgendwo auf der Hohe Straße, steht eine Menschenmenge, das Alaaf auf den Lippen. Ein als Gendarm verkleideter Jeck tanzt grotesk über das aufgerissene Pflaster, ein männliches Tanzmariechen steht Hand in Hand da mit einem Clown. Vor einem ausgebrannten Haus ein Luftballonverkäufer.
Auffällig ist dabei, dass keiner eine Waffe zu den Kostümen trägt, die immer noch die deutsche Vergangenheit reflektieren: kein Holzgewehr, kein Säbel. Ob da der alliierte Kontrollrat noch Angst vor dem deutschen Militarismus hatte, selbst wenn er sich nur im Karneval zeigte?
Anders als bei Chargesheimer, bei dessen Bildern vom ersten Fasteleer die Menschen im Vordergrund stehen – mitgenommene, ausgemergelte Gesichter, die einen Moment vom Frohsinn verzeichnet sind –, stehen bei Claasen die Menschen im Kontext. Sie rufen nach Kamelle – aus einem ausgebombten Haus, auf dem nur eine große Inschrift den Krieg überlebt hat: „Lebensversicherung“.
Ergreifend ist auch das Bild vom „Rummel“: Neben dem zerstörten spanischen Bau – Büsche und Sträucher überwuchern inzwischen die Ruinen – wächst aus den Trümmerbergen ein kleines Riesenrad. Es steht so verloren da, als habe nur es allein den Krieg heil überstanden. Die Menschen in den Gondeln wirken wie Puppen, die man zur Dekoration hinein gestellt hat, um ein bisschen Normalität zu behaupten. ACHIM KONEJUNG