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Archiv-Artikel

BERNHARD PÖTTER über KINDER Noch 16 Jahre Terror im Bett

Erwachsensein (I): Wann sind wir groß? Wenn wir nicht mehr gegen das Einschlafen kämpfen

Andere Leute haben Schlafstörungen. Dagegen gibt es Medikamente. Wir haben drei Kinder. Das ist unheilbar. Andere Leute haben Angst, morgens den Wecker zu überhören. Davon können wir nur träumen. Andere Leute stellen abends ihre Wecker. Wir legen unsere hin. Oder jedenfalls versuchen wir es.

„Mama, du sollst noch mal koooommen“, quengelt Tina aus dem Kinderzimmer. Seit einer halben Stunde geben Anna und ich uns die Klinke in die Hand, um dieses dreijährige, todmüde Bündel überladener Synapsen ins Bett zu kriegen. Noch eine Geschichte. Noch ein Schluck Wasser. Noch einmal Pipi. Gestreichel. Gesäusel. Geschrei. Und wieder von vorn.

„Papa, unter dem Bett sind Monster!“, schluchzt meine Tochter. Das kann nicht sein. Die Matratze liegt auf dem Boden. Aber die Monster sind eigentlich egal. Und es ist auch nicht die Angst vor der Dunkelheit, die sie immer wieder ins Wohnzimmer oder in die Küche treibt. Sondern die Neugier: „Was macht ihr da?“ Dass die Welt sich weiterdreht, auch wenn sie schläft, dieses Vertrauen in die Gesetze des Kosmos hat meine Tochter noch nicht. Auch nicht im Einstein-Jahr.

Kinder müssen schlafen und wollen nicht. Erwachsene würden gern schlafen und können nicht. Das ist die Wasserscheide zwischen Kindern und Erwachsenen. Mit der Liebsten in den Laken wühlen? Sich ins vorgewärmte Bett kuscheln? Sich mal einen ganzen Vormittag die Decke über den Kopf ziehen? Nicht aus den Federn kommen? Sanft entschlafen? Was für uns Zustände höchsten Glücks sind, ruft bei Jonas und Tina nur diese Reaktion hervor: „Ooooch, nee, können wir nicht noch KiKa gucken?“

Also: Wann sind wir erwachsen? Für meinen früheren Mitbewohner Rudi keine Frage. Erwachsensein hieß für das Kind aus einer sechsköpfigen fränkischen Handwerkerfamilie, mit 25 Jahren 300 Gramm Eis ganz in Ruhe und allein auf dem Balkon in der Abendsonne wegzulöffeln. Für unsere Freundin Julia hieß Erwachsensein, ein eigenes Auto zu haben. Diese große Freiheit war bisher mit 18 möglich, gerade wird sie mit vierrädrigen Mopeds und lebensgefährlich echten Spielzeugautos auf das Alter von 16 Jahren gedrückt. Für andere ist die magische Grenze das Wahlrecht mit 18, aber darauf kam bei unserer Diskussion niemand – wahrscheinlich ein gutes Zeichen, dass man Wählen nicht als Errungenschaft, sondern als Normalfall sieht. Für unseren Freund Frank ist jemand erwachsen, wenn er Sex gehabt hat. Glaubt man den Statistiken über das Alter, in dem „das erste Mal“ stattfindet, dann sind Jonas und seine Erstklässler-Freunde von dieser Grenze nicht mehr weit entfernt.

Ich bleibe lieber bei meiner Definition: Erwachsen ist, wer freiwillig und mit Freude schlafen geht, auch wenn er kein Fieber hat. Und wissen Sie was: Till Roenneberg ist ganz meiner Meinung. Er ist Professor am Münchner Institut für Medizinische Psychologie und kennt anscheinend meine Kinder. Aber dafür musste er 25.000 Menschen befragen. Er hat Dinge herausgefunden, die Eltern den Schlaf rauben können. Demnach schlafen Kinder immer später ein, je älter sie werden – bis die Entwicklung sich dann irgendwann umdreht. Das Ende der Nachteulen-Existenz ist für den Forscher auch das Ende der Adoleszenz, bei Jungen im Schnitt mit 21 Jahren, bei Mädchen mit 19,5.

„Noch 16 Jahre Terror“, flüstert Anna mit halb geschlossenen Lidern, kurz bevor sie auf dem Fernsehsofa routiniert in die abendliche Ohnmacht gleitet. Von Anne Will sieht sie nichts mehr, obwohl die ARD extra für unsere Familie die „Tagesthemen“ vorverlegt. Darüber freut sich Jonas, der auf Annas Sofaplatz spekuliert und ihr schon mal vorgeschlagen hat, sie sollten doch einfach tauschen.

„Ab ins Bett mir dir!“, dekretiere ich. „Na wartet, wenn ich erst mal groß bin“, sagt mein Sohn. „Was ist dann?“, frage ich gähnend. Jonas hat seine eigene Definition vom Erwachsensein: „Wenn ich groß bin, dann mache ich nur noch, was ich will.“

Das heißt, er wird wohl nie Kinder haben.

Nächste Folge: Erwachsensein (II):Das gefühlte Alter

BERNHARD PÖTTER KINDER Fragen zum Terror? kolumne@taz.de Morgen: Josef Winkler ZEITSCHLEIFE