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Archiv-Artikel

Und plötzlich sind sie wieder Türken

Das Gesetz ist eindeutig: Bis zu 50.000 eingebürgerte Türken müssen mit dem Verlust ihres deutschen Passes rechnen. Sie haben stillschweigend wieder die Staatsbürgerschaft ihres Herkunftslandes beantragt, obwohl das im Regelfall verboten ist

AUS BERLIN PHILIPP DUDEK

Tausenden eingebürgerten Türken droht der Verlust ihrer deutschen Staatsbürgerschaft, weil sie nach der Einbürgerung ihre alte Staatsangehörigkeit wieder angenommen haben. Das Bundesinnenministerium sprach gestern von „deutlich über 10.000 Fällen“. Nach Angaben der türkischen Gemeinde in Deutschland (tgd) sind bis zu 50.000 Menschen betroffen.

Bis zum 1. 1. 2000 konnten eingebürgerte Türken eine Hintertür im Staatsangehörigkeitsgesetz nutzen, um zwei Pässe zu erhalten. Wer wollte, konnte demnach aus der alten Staatsangehörigkeit austreten, die deutsche annehmen und dann wieder seine vorige erwerben, solange er seinen Wohnsitz in Deutschland hatte. Das seit dem 1. 1. 2000 gültige Staatsbürgerschaftsrechts verbietet nun die Doppelstaatsangehörigkeit. Daher wird eingebürgerten Türken, die die türkische Staatsbürgerschaft nach dem 1. 1. 2000 erlangt haben, ihre deutsche Staatsangehörigkeit wieder entzogen.

„Die Bearbeitung der Anträge hat in der Türkei in vielen Fällen so lange gedauert, dass die Betroffenen erst nach dem 1. 1. 2000 ihre türkische Staatsbürgerschaft erhalten haben“, sagte der tgd-Vorsitzende Hakki Keskin. Die tgd fordert deshalb, im Staatsbürgerschaftsgesetz eine Übergangslösung einzufügen, wonach sich die Betroffenen bis zum 31. 12. 2006 für eine der beiden Staatsbürgerschaften entscheiden müssen.

Die Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD), machte gestern allerdings klar, dass eine Gesetzesänderung nicht in Frage kommt. „Eine Amnestie für die Betroffenen wird es nicht geben können“, sagte Sonntag-Wolgast. Auch eine generelle Mehrstaatigkeit komme nach dem aktuellen Gesetz nicht in Frage. Dennoch sollte es den Betroffenen im Rahmen der bestehenden Gesetzgebung schnell und unbürokratisch möglich gemacht werden, die deutsche Staatsbürgerschaft wiederzuerlangen. „Ziel des neuen Staatsbürgerschaftsgesetzes war es schließlich, möglichst viele der hier dauerhaft lebenden Migranten einzubürgern“, sagte Sonntag-Wolgast. Es könne nicht angehen, dass für die Betroffenen die Einbürgerung jetzt bei null beginnen müsse.

Mit dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit verlieren die ehemaligen Deutschtürken auch ihren festen Aufenthaltsstatus. Sie müssen erneut eine Aufenthaltsregelung beantragen. Wollen sie wieder die deutsche Staatsbürgerschaft erlangen, müssen sie das Verfahren von vorne beginnen. Das würde nach der aktuellen Gesetzeslage auch einen Sprachkurs und die erneute Überprüfung der sozialen Verhältnisse der Antragssteller bedeuten.

Im Innenministerium geht man davon aus, dass zahlreiche Türken durchaus bewusst versucht haben, das Gesetz zu umgehen. Ministeriumssprecher Rainer Lingenthal sprach von mehr als 10.000 Deutschtürken, die sich wissentlich nach dem 1. 1. 2000 erneut um eine türkische Staatsbürgerschaft bemüht haben. Aufgeflogen seien diese unzulässigen Bemühungen um eine Doppel-Staatsbürgerschaft in der Regel bei Behördengängen der Betroffenen.