: Von Kohlkönigen und Kreuzen
Vom Erfolg wenig verwöhnte Teilnehmer von Beschäftigungmaßnahmen sollen umdenken. Gefragt ist, was sie wirklich gerne tun. Das reicht für den Arbeitsmarkt – die Methode Life/Work Planning verlässt erstmals die Universitäten
bremen taz ■ „Wie heißt der nochmal, der am meisten frisst?“, fragt Günther in die Runde und gibt gleich selbst die Antwort: „Ach ja: Kohlkönig.“ Dann sagt er: „Obwohl ich Kohlkönig geworden bin, hab ich dafür gar keine Kreuze bekommen.“ Günther sitzt in einem Seminar, das ihm helfen soll, einen Job zu finden und redet von Kohlkönigen und Kreuzen. Über 50 ist er und damit der Älteste der 18 Teilnehmer, die sämtlich beim Beschäftigungsträger BRAS oder der Initiative Quirl unter Vertrag sind, somit im zweiten Arbeitsmarkt auf dem Sprung in den ersten. Wenn zu springen nur so einfach wäre – dann wäre niemand hier im Seminarraum in Hastedt, niemand würde reden von Kreuzen oder Königen, von Kühen, Cocktails oder asiatischer Kunst.
Aber nun tun sie genau das – herausfinden, was sie wirklich gerne tun. Fernab von allen Phrasen, die im Jobgeschäft üblich sind. Das Verfahren heißt Life/Work Planning, kurz LWP, kommt aus den USA und wurde in Deutschland etabliert durch den Amerikaner John Webb. Die BRAS-Idee, das Verfahren für Beschäftigte des zweiten Arbeitsmarktes zugänglich zu machen, ist eine Deutschland-Premiere.
Gerne sticht gut, lautet der Kern der Lehre – es ist wichtiger, etwas gerne als es „gut“ zu tun. Denn was man gerne macht, macht man auch gut. Und es bringt mehr: mehr Lebensfreude. „Wähle das, was du gerne machst“, sagt Trainer Marc Buddensieg in die Seminarrunde, „so gut, wie du das kannst, ist es gut genug, einen Job zu kriegen.“
Das Gerne-Tun bringt erstmal Kreuze auf einer langen Liste von Fähigkeiten, in der sich die Qualitäten von Günthers Kohlkönigtum ebenso wiederfinden wie die von Johannas Zug übers Viertelfest – auf den ersten Blick nichts, wofür irgendein Chef dieser Welt Geld ausgeben würde. Auf den zweiten Blick aber stecken laut LWP in jedem Akt, den man gerne tut und dabei einen gewissen Erfolg erringt, und sei’s nur pure Lebenslust, arbeitsmarkttaugliche Fähigkeiten: Kommunizieren. Sich in andere einfühlen. Informationen zusammensuchen. Analysieren. Mit den Händen arbeiten.
Johanna, 23, ist gelernte Lackiererin. Derzeit arbeitet sie bei der BRAS. „Ich fand die Metalltür, die du neulich gestrichen hast, toll. Richtig gut“, sagt Marc Buddensieg zu ihr, „aber ich hab‘ dein Gesicht gesehen dabei.“ Johanna verzieht es einmal mehr und murmelt „Scheißding“. Und nicht ihrs. Sie will was anderes.
Im Farbgeschäft würde sie gerne arbeiten, beraten, Farben mischen. „Ich hab das immer lieber erklärt als es zu tun“, sagt sie über ihren Beruf. Nicht, dass sie das vor dem Seminar nicht schon gewusst hätte. „Aber hier kommen Sachen raus, da wäre ich nie drauf gekommen.“
Es geht auch um Interessen: Johanna interessieren Farben, Tiere und Musik. Andere mögen Vanille, Spinat und Englisch. Oder Fußball, Fernsehen und Tontechnik. Gastronomie, Goldfische oder Rote Grütze – im Seminar ist alles erlaubt. Wenn dann Lieblingstun mit Lieblingsinteresse kombiniert wird – in Johannas Fall „mit den Händen arbeiten“ und „Farben“ oder „Tiere“ – dann kommen im gemeinsamen Brainstorming bei Sambamusik Dinge heraus wie „Kühe melken“, „Schafe scheren, „Bilder fälschen“ oder „Keramik anmalen“. Das bringt Johanna noch keine Arbeit. Aber Ideen. Erstmal ist sie wenig angetan. „Bilder fälschen“ findet sie blöd.
„Sie bekommen hier Selbstwertgefühl“, sagt Julia Glöer, die mit Buddensieg zusammen das Seminar leitet, über die Teilnehmer. Die sollen durch das stete Feedback der anderen an das glauben, was sie hier erfahren. „Und“, sagt Julia Glöer, „sie bekommen das Gefühl: Ich kann über mich reden.“
Das erproben die Teilnehmer in Betrieben. Mit kurzen Fragen nach festem Schema gilt es, sich durchzufragen, Menschen zu interviewen, die einen begehrten Job machen und Tipps fürs Weiterkommen geben können. Ein Probetag hat ergeben: Von 54 insgesamt versuchten Gesprächen aller 18 Teilnehmer waren 45 erfolgreich. Warum das so wichtig ist? Dreiviertel aller freien Stellen werden erst gar nicht ausgeschrieben, sondern vorher vergeben, im Umfeld des Chefs. Der Sinn des strikten LWP-Frageschemas: Ohne aufdringlich zu sein sich selbst ein Bild von der Firma machen und in die wichtigen Kreise vordringen – am besten bis zum Chef selbst.
Am Ende all dessen soll ein Job stehen – einer, den sich die Arbeitssuchende ausgesucht hat und den sie bekommt, weil sie genau damit überzeugt. Das ist die reine Lehre. LWPler sind voller Geschichten von Menschen, die so ihren Traumjob gefunden haben. Aber mit den Hastedtern wird es nicht leicht. Auf den ersten Blick gehört hier keiner zu denen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt begehrt sind.
„Wer wirklich will, der findet einen Job“ – neoliberale Sprüche wie dieser liegen nah, wenn Julia Glöer von der Eigenverantwortung ihrer Teilnehmer spricht, davon, dass Wollen nicht reicht, sondern das Tun zählt. „Wer nach dem Seminar sagt: Bei mir ist nichts entstanden“, sagt Buddensiek, „bei dem erlebe ich es ganz häufig, dass er keine Gespräche geführt hat.“ Keine Betriebe erkundschaftet hat, keine Menschen kennengelernt. Julia Glöer erklärt: „Wer Gespräche führt, erhöht seine Chancen erheblich. Wer dann keinen Job findet, dem würde ich nicht die Schuld daran geben.“ Susanne Gieffers