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Archiv-Artikel

Ist das gerecht?

Die Deutsche Bank macht Milliarden-Gewinne – will aber trotzdem 6.400 Mitarbeiter entlassen. Verhält sich das Unternehmen unmoralisch? Ein Pro und ein Contra

Firmen können es sich heute eher leisten, das Allgemeinwohl zu vernachlässigen

Gewinne steigen, Angestellte werden entlassen. „Ist das gerecht, darf der Ackermann das?“, fragen sich viele. Aber in der Art, wie die deutsche Öffentlichkeit diese Frage beantwortet, folgt daraus ein zwingendes Scheitern aller Gutmeinenden. Denn der Gegensatz hohe Gewinne versus Massenentlassungen hat mit Gerechtigkeit nur wenig zu tun. Gerechtigkeit ist zwar für viele ein hohes moralisches Gut – doch in unserem Wirtschaftssystem führt sie nicht weit. Jeder sieht etwas anderes als gerecht und als moralisch an. Und es gibt auch nicht annähernd eine Mehrheit gegen das existierende System von Kapital und Arbeit, von Rationalisierung und Gewinnmaximierung. Das mag mancher bedauern, ist aber so.

Wie weit sich die Kunden, vor allem aber die Angestellten auspressen lassen und wie weit die Unternehmensführung ihr Profitinteresse durchsetzen kann, hängt also nicht an Gerechtigkeit, sondern an der Verhandlungsmacht. Und zwar in dem jeweiligen Betrieb. Was tut die Bankbelegschaft gegen die Entlassungen, müsste also eher eine Frage sein als die der Gerechtigkeit. Ist die Mehrheit froh, dass es sie nicht erwischt hat und arbeitet still weiter oder besetzen alle solidarisch die Vorstandsetage?

Für die Politik hingegen und damit auch für die Gesellschaft, die die Politiker wählt, gilt: Hat es für sie einen hohen Stellenwert, den Arbeitern wirksame Waffen in die Hand zu geben, damit sie auch eine Chance haben gegen die Bosse? Hier steht es in der Theorie in Deutschland nicht schlecht, denn mit dem weltweit ziemlich einmaligen System der Mitbestimmung stellen die Angestellten ja die Hälfte der Mitglieder in den Aufsichtsräten. Ohne ihre Zustimmung wird kein Vorstandschef eingestellt, auch kein Ackermann.

Eine zweite Aufgabe der Politik: Die Schaffung von Arbeitsplätzen möglichst billig machen. Hier hat die deutsche Gesellschaft ziemlich versagt. Über Jahrzehnte haben es ihre Politiker den großen Unternehmen ermöglicht, ihre Steuerlast immer weiter zu drücken. Was dadurch dem Staat an Steuer fehlt, holt er sich über Sozialabgaben und immer neue staatliche Kredite wieder herein. Das verteuert die Arbeitsplätze und verhindert jetzt die nötigen Investitionen in die Zukunft. Auf diese Weise nahm unsere Arbeitslosigkeit ständig zu, bis nun jedem die Angst davor im Nacken sitzt. Diese Situation nutzt ein Ackermann aus. Das ist nicht sympathisch, aber es ist sein Job. Und die Frage dabei ist nicht, ob das gerecht ist, sondern ob es gut für seine Firma ist – und wenn nicht, warum ihn keiner stoppt.

REINER METZGER

Gewinn ist gerecht. Auf diese einfache Formel lässt sich die moralische Grundhaltung des Wirtschaftsliberalismus bringen. Das Argument: Nur profitable Unternehmen dienen der Allgemeinheit – nur sie verkaufen die gewünschten Produkte, bieten sichere Arbeitsplätze und tragen mit ihren Steuern zur Finanzierung des Gemeinwohls bei. Profit dient allen, niemand verliert. In diesem Sinne ist es auch kein Problem, wenn die Deutsche Bank 2004 4,1 Milliarden Euro Gewinn vor Steuern erwirtschaftet hat und trotzdem weltweit 6.400 Arbeitsplätze streicht.

Wer dem Liberalismus viel Verständnis entgegenbringt, kann sagen, dass diese Haltung früher vielleicht richtig war. Heute aber erscheint sie zunehmend fragwürdig. Konzernchefs wie Josef Ackermann von der Deutschen Bank können sich nicht mehr darauf berufen, quasi automatisch ihren Firmen-Egoismus und das gesellschaftliche Wohl zu kombinieren.

Was hat sich geändert? Die Nationalstaaten sind schwächer geworden. In Zeiten der Globalisierung enden ihre Gesetze immer noch an den Landesgrenzen. Das weltweite Recht ist unterentwickelt, ein gemeinsames Wirtschafts- und Sozialrecht kaum vorhanden. Die transnationalen Unternehmen dagegen handeln global. Souveränität (national) und Wirtschaftsraum (transnational) sind nicht mehr deckungsgleich. Damit hat auch die moralische und kulturelle Bindungswirkung abgenommen, die früher unternehmerischem Handeln einen Rahmen setzte.

Firmen können es sich heute eher leisten, das Allgemeinwohl zu vernachlässigen. Das Prinzip „Vom Gewinn profitieren fast alle“ gilt nicht mehr – siehe Entlassungen in Zeiten hohen Gewinns.

Das ist kein Gejammer gegen die Globalisierung. Die findet eben statt. Was fehlt, sind neue Instanzen, die transnationalen Unternehmen Regeln setzen. Wie das wirklich funktionieren könnte, liegt weitgehend im Dunkeln. Weltregierung? Weltgesetze? Sozialkodex für Firmen? Die deutsche Mitbestimmung in den Unternehmen gibt doch eigentlich ein gutes Modell ab. Seit die Beschäftigten in den Aufsichtsräten sitzen, spielen ein paar mehr Argumente eine Rolle als nur die des Kapitals. Warum können nicht auch andere Gruppen in den Firmen vertreten sein – Verbraucheranwälte, Ökonomen, Bürgerrechtsorganisationen?

Gerechtigkeit ist eine Kategorie, die in den Unternehmen auf eine neue Art repräsentiert werden muss – wenn sie schon nicht von außen kommt.

HANNES KOCH