piwik no script img

Archiv-Artikel

„Bauten bleiben tabu“

Haus- oder Straßenbau in Flussauen wäre ein schwerer Fehler, warnt der Potsdamer Geoökologe Axel Bronstert

taz: Herr Bronstert, Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) wurde im Kampf gegen das Oderhochwasser 1997 noch als Deichgraf bejubelt. Nun weicht er das von Rot-Grün geplante Hochwasserschutzgesetz auf. Wie passt das zusammen?

Axel Bronstert: Eigentlich gar nicht. Dass Brandenburg das Ackerverbot in Talauen kippt, ist ein Zugeständnis an die Bauern. Sie haben gegen die Naturschützer erst mal gewonnen.

Was ist so schlimm daran?

Zum einen ist das für die Landwirte selbst nicht gut. Die nächste Überschwemmung kommt bestimmt, in den betroffenen Gebieten geht ihre Ernte verloren.

Das stört die Bauern offenbar aber nicht …

… wenn sie entschädigt werden. Und zum anderen werden Nährstoffe aus dem Boden ausgewaschen, Dünge- und Pflanzenschutzmittel ins Grundwasser, in die Flüsse und später ins Meer gespült. Zwar ist das fürs Trinkwasser keine Gefahr, aber für Fische und andere Lebewesen.

Lösen die Landwirte, weil sie die Auen als Maisacker statt als Kuhweide nutzen, Jahrhundertfluten wie an der Elbe 2002 aus?

Nein, dass davon der Wasserstand der Elbe, der Weser oder des Rheins abhängt, ist eine Illusion. Solche großen Flüsse treten über die Ufer, wenn es extreme Niederschläge gab. Dann fällt in kurzer Zeit so viel Regen, dass weder Acker noch Wiese ihn speichern können. Bei Flüssen mit kleineren Einzugsgebieten ist das etwas anders. Dort tritt ein Hochwasser schon mal nach einem kurzen Gewitter auf, auch weil die Traktoren die Böden rundherum verdichtet haben.

Ob Acker oder Grünland ist also egal? Damit geben Sie der Bauernlobby Futter.

Tatsächlich geht es beim Ackerverbot vor allem darum, die Wasserqualität zu schützen. Zwar ist dieses Bild bekannt: Das Hochwasser geht, der Schlamm im Hauskeller bleibt. Deshalb glauben viele, dass hänge ausschließlich mit der Erosion des Auenackers zusammen. Der Dreck kommt aber aus dem gesamten Flusseinzugsgebiet, vor allem aus den höheren Gebirgslagen.

Ist ein Ackerverbot am Ufer dann noch verhältnismäßig?

Dazu gibt es keine wissenschaftlich haltbaren Zahlen. Mir ist auch weltweit kein solches Verbot, das darüber Aufschluss geben könnte, bekannt, Ohnehin ist es viel wichtiger, mögliche Überschwemmungsgebiete für den Fluss frei von neuen Häusern und Industrieanlagen zu halten.

Genau das wollte Rheinland-Pfalz verhindern – offenbar aber ohne Erfolg.

Häuser, Fabriken oder Straßen in Überschwemmungsgebieten neu zu bauen, das muss auf jeden Fall ein Tabu bleiben. Flutwellen verursachen in Siedlungen viel größere Schäden als auf dem Land. Das zu kippen wäre ein noch größerer Fehler, als das Ackerverbot aufzuheben. Mich wundert, dass die rheinland-pfälzische Umweltministerin Margit Conrad (SPD) das nicht sieht. Sicher, es gibt in ihrem Bundesland große Industrieanlagen am Rhein. Aber es will ja keiner die BASF verlagern, es geht nur um das Verbot neuer Bebauung.

Was kosten Hochwasser die Volkswirtschaft?

Das Elbehochwasser 2002 hat Schäden von 10 Milliarden Euro verursacht. Eine komplette Verlustrechnung gibt es aber meist nicht. Wir haben für ein Teilgebiet der Elbe eine Kosten-Nutzen-Analyse von Hochwasserschutzmaßnahmen aufgestellt.

Die lautet wie?

Im Sommer 2002 wurde die Untere Havel zum ersten Mal seit 50 Jahren als Überflutungsraum für die Elbe genutzt. In der Region wurde damit der Wasserscheitel der Elbe um einen halben Meter gesenkt. Der dadurch verhinderte Schaden war dreimal größer als der aufgetretene Schaden auf den Feldern der Havelbauern im Überflutungsraum. So wurden viele Millionen Euro gespart. Die Landwirte erhielten eine Entschädigung.

Wie viel?

Etwas mehr als die verlorene Ernte. Reich wird man durch diese Sondermittel, die die Länder gezahlt haben, aber trotzdem nicht.

Hat das Hochwasserschutzgesetz seinen Namen überhaupt noch verdient?

Wenn sich Brandenburg und Rheinland-Pfalz durchsetzen, sicher nicht. Dabei war es mal richtig modern gedacht – und zwar kurz nach der Elbeflut 2002.

INTERVIEW: HANNA GERSMANN