: Das verlängerte Wohnzimmer
Zwischen Selbstversorgung und Ziergarten: Ein Balkon kann mehr sein als nur Abstellplatz für Grill und Bierkasten. Mit wenig Aufwand lassen sich Blumen und Nutzpflanzen ziehen. Attraktive Kombination aus beidem: die Kapuzinerkresse
von Nicolai Schaaf
Der Hinterhof-Balkon, auf dem außer Altpapier- und Altglasbergen nichts wächst, gerade mal das Bier kaltgestellt wird und der Grill auf seinen nächsten Einsatz wartet – für Susanne Siebuhr ist das ein trauriger Anblick. Die Gärtnerin gestaltet auch Balkone, und die gerne so, „dass das ganze Jahr über etwas Grünes und Blühendes zu sehen ist“. Ob als rein dekorative Begrünung oder Arrangement aus Zier- oder Nutzpflanze – „die Kunst besteht in der Ausgewogenheit“, sagt Siebuhr, für die der Balkon ein verlängertes Wohnzimmer ist, das wie die Wohnung bewusst gestaltet werden will.
Dabei lässt sich das Ansehnliche mit dem Nützlichen auch auf wenig Platz durchaus verbinden: Von einem beeindruckenden Beispiel städtischer Miniaturlandwirtschaft berichtet das Buch „Selbstversorgung in der Stadt“, das 1975 in deutscher Übersetzung erschien (Pala-Verlag, vergriffen). Die Autoren Helga und William Olkowski hatten vor allem aus ökologischer Motivation über mehrere Jahre hinweg den familiären Fleisch- und Gemüsebedarf durch Anbau und Tierhaltung im kleinen Garten und auf dem Hausdach gedeckt. Die Anleitungen in ihrem Buch führen von Bodenkunde und Gärtnerei bis hin zum Schlachten von Hühnern und Kaninchen und zum Gerben der Felle.
Von städtischer Miniaturlandwirtschaft ...
Das war allerdings im kalifornischen Berkeley. „Auf einem normalen Hamburger Balkon wird eine wirkliche Selbstversorgung wohl nicht funktionieren“, vermutet der Volksdorfer Gärtner Wolfgang Harbich. Aber man könne ja beispielsweise mit Küchenkräutern beginnen. „Denn die Erfahrung, dass Kräuter und Gemüse aus der Erde wachsen und nicht aus dem Supermarkt kommen, ist nicht nur für Kinder wichtig und spannend.“
Basilikum, Schnittlauch, Salbei oder Rosmarin: Gärtnerin Siebuhr fallen mehrere beliebte Kräuter ein, die auf der Fensterbank oder auf dem Balkon gedeihen können. Man müsse sich nur überlegen, ob man jedes Jahr neue Pflanzen ziehen will oder solche bevorzugt, die auch mehrere Jahre überleben können. „Wenn man einmal im Jahr neue Kräuter kauft, reichern sich zumindest nicht so viele Schadstoffe aus den Abgasen an, und man muss sich keine Gedanken machen, ob und wie die Pflanzen den Winter überstehen“, gibt Siebuhr zu bedenken.
Wem der mit frischen und selbst gezogenen Kräutern garnierte Salat derzeit noch allzu fern und sommerlich erscheint, der möge sich durch den Blick in einen Gartenkalender zur baldigen Aussaat von Kräutern und Gemüse aufgerufen fühlen (siehe Kasten). Der Landesbund der Gartenfreunde rät für den Februar, „dringend Saatgut zu besorgen“. Wer etwas mehr Platz hat, vielleicht sogar ein kleines Gewächshaus, dem empfiehlt Roger Gloszat, Fachberater beim Landesbund, den Anbau von Tomaten, Paprika oder der Andenbeere Physalis mit ihrer aromatischen, gelben Frucht in der papierartigen Hülle.
Doch auch der beblümte Balkonkasten verdient schon jetzt Aufmerksamkeit: Zu den ersten Blühern des Jahres gehören die Zwiebelpflanzen wie Tulpen, Krokusse und Traubenhyazinthen. „Wer sie nicht schon im Herbst eingepflanzt hat, kann sie jetzt vorgezogen kaufen“, so Siebuhr. „Die Frühblüher vertragen auch ein paar Minusgrade.“ Für Dietmar Schwarz vom Bildungs- und Informationszentrum für den Gartenbau (BIG) sind Geranie, Tagetes und das Fleißige Lieschen Klassiker unter den Balkonpflanzen – hübsch anzusehen und leicht zu pflegen. „Ausgesäte Geranien sind aber meist nicht sehr kräftig“, warnt Schwarz und empfiehlt den Kauf von Jungpflanzen. Diese könnten auch über den Winter gebracht und als Setzlinge vermehrt werden.
... und schmackhafter Volksheilkunde
Ein echtes Multitalent, das leicht zu ziehen ist, hübsch aussieht, zudem gut schmeckt und auch noch heilende Wirkung entfalten kann, ist die Kapuzinerkresse. Im Sommer zieht sie mit üppigen gelb-orangenen Blüten den Blick auf viele städtische Balkone. Sie kann ab März in kleinen Töpfen oder Kästen auf der Fensterbank ausgesät werden; ab Mai fühlen sich die Jungpflanzen dann auch auf dem Balkon wohl. Die frischen Blätter würzen Salat und Soßen, ihre Blüten dienen als essbare Dekoration.
„Sie schmecken recht scharf und kresseähnlich“, weiß Siebuhr und rät, sie vorsichtig am Blütenstiel abzuschneiden. „Dann nehmen die Pflanzen die Beschneidungen nicht übel.“ Reichlich Sonne und Wasser danken die Pflanzen mit voller Blütenpracht. „Mit der Kapuzinerkresse hat auch ein Anfänger Freude“, wirbt Siebuhr für das vitaminreiche Gewächs, das in der Volksheilkunde sogar als kräftigend und Blut reinigend gilt und bei Erkältungen, Bronchitis und Harnwegsinfekten helfen soll.
Der so begrünte Balkon muss auch in der kalten Jahreszeit nicht ergrauen. Für Spätherbst und Winter empfiehlt Siebuhr beispielsweise Buchsbäume und Christrosen. Generell sind für die Gärtnerin aber die Standortbedingungen wesentliche Grundlage für die Balkongestaltung. Denn nicht alle Pflanzen schätzen uneingeschränkt die Sonne. Dem Fleißigen Lieschen beispielsweise ist ein schattiger Platz allemal lieber.
Infos: www.kleingarten-hh.de, www.big-hh.de