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Archiv-Artikel

Ungeachtet der Ziele ist das neue Versammlungsrecht akzeptabel Pure Angst vor Peinlichkeit

Auch wenn es bis zum 8. Mai, dem Tag der Befreiung, schnell gehen muss: Überraschend kommt die gestern angekündigte Verschärfung des Versammlungs- und Strafrechts nun wirklich nicht. Seit fünf Jahren wird darüber diskutiert, wie rechtsextreme Aufmärsche an symbolischen Orten wie dem Brandenburger Tor oder dem Holocaust-Mahnmal unterbunden werden können.

Die jetzt gefundene Lösung ist halbwegs akzeptabel, weil sie sich auf Gedenkstätten von nationaler Bedeutung beschränkt und damit touristische Wahrzeichen wie das Brandenburger Tor ausnimmt. Verfassungsrechtlich ist die Einschränkung des Demonstrationsrechts hinnehmbar, weil Gedenkstätten für die NS-Opfer tatsächlich einen besonderen Würdeschutz benötigen und die Würde lebender und auch toter Menschen der höchste Wert der Verfassung ist.

Allerdings hat der Bezug auf die Würde der Opfer und die Gefühle der Überlebenden auch einen faden Beigeschmack. Denn sechzig Jahre nach Kriegsende und vierzig Jahre nach Beginn der ernsthaften Aufarbeitung der NS-Zeit geht es im geplanten Gesetz offensichtlich auch um andere Zwecke: die Verhinderung peinlicher Bilder, den Schutz des deutschen Images im Ausland, billigen Aktionismus gegen Rechts und die Bekämpfung einer unerwartet stark gewordenen politischen Konkurrenz.

Die Gerichte müssen deshalb aufpassen, dass sie die jetzt ausdrücklich ermöglichten Demonstrationsverbote nur dann akzeptieren, wenn Auflagen an Gestaltung und Inhalt einer Demonstration nicht ausreichen. Vor allem muss eine politische Auseinandersetzung über Art und Bedeutung der deutschen Vergangenheitspolitik möglich bleiben. Ein Mahnmal muss auch seine Kritiker aushalten – solange diese sich halbwegs an zulässige Formen des politischen Diskurses halten.

Wirklich bedenklich ist aber die neue Strafvorschrift, die das „Verharmlosen“ der NS-Willkürherrschaft unter Strafe stellt. Ist künftig schon die Aussage „Es war nicht alles schlecht im Dritten Reich“ eine Straftat? So viel staatliche Gängelei braucht eine freiheitliche Gesellschaft wirklich nicht. CHRISTIAN RATH