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Archiv-Artikel

Dresden, Februar 1945 – der gefährliche Mythos

In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 wurde Dresden zerstört. 35.000 Menschen starben, 350.000 wurden ausgebombt. Dresden wurde zum Symbol des Leidens der deutschen Bevölkerung im 2. Weltkrieg. Den Opfermythos missbrauchen heute Rechtsextreme. taz-dossier SEITE 3–6

Von SR

Die Erinnerung an die NS-Zeit verändert sich. 60 Jahre danach rückt in den Vordergrund, dass damals auch Deutsche Opfer waren. Zum Beispiel in Dresden, als alliierte Bomberflotten die Stadt, voll mit Flüchtlingen, in Schutt und Asche legten. Diese Bombardierung traf auch Fabriken und kriegswichtige Infrastruktur – aber das Ziel war die Zivilbevölkerung, deren Moral gebrochen werden sollte. Der Feuersturm von Dresden wurde zum Symbol für die Vernichtung deutscher Städte durch die Luftangriffe. Und zur Chiffre für das Leid der deutschen Zivilbevölkerung.

Dieses Leid darf nicht vergessen und verdrängt werden – so wie es der Slogan der Antideutschen „No tears for Krauts“ suggeriert. Das ist falsch, denn es bleibt abstrakten Mustern und Feindbildern verhaftet.

Vor allem aber darf die Erinnerung an Dresden die Verbrechen der Nazis und den Holocaust nicht kleiner erscheinen lassen. Auch wenn man die Bomben auf Dresden für eine verachtenswerte Tat hält, die durch keine militärische Logik entschuldbar ist – Dresden zeigt, wo Ursache und Wirkung lagen. Jeder Versuch, die Deutschen zu den wahren Opfern des Krieges zu stilisieren, stellt die historischen Tatsachen auf den Kopf. Opferkonkurrenz befördert keine historische Einsichten – und ist das Letzte, was Deutschen angesichts der nationalsozialistischen Verbrechen ansteht. Das gilt, trotz Historisierung der NS-Zeit, auch 60 Jahre danach.

Die Rechtsextremen versuchen, so wirkungsvoll wie lange nicht mehr, die Thematisierung deutscher Opfer für ihre Geschichtsfälschung auszunutzen. Viele Dresdener Bürger werden morgen an die Schrecken der Bombennacht erinnern – und dies mit Protest gegen die Neonazis verbinden. Das ist richtig. Es ist der Versuch der Zivilgesellschaft, Erinnerung gegen Entschuldungsrhetorik und Funktionalisierungen zu verteidigen. Dies zu demonstrieren ist wichtiger und wirksamer als staatliche Verbote gegen die rechtsextreme Propaganda. SR

Inhalt

Interview mit dem britischen Historiker Frederick Taylor: „Die Bombardierung war moralisch verwerflich – aber ich zweifle daran, dass sie militärisch völlig ungerechtfertigt war.“ Angriffsziel sei schließlich eine kriegswichtige Infrastruktur des deutschen Heeres gewesen. SEITE 3

Michael Bartsch über die historische Dresdner Erinnerungskultur, die erst mit den ökumenischen Friedensgebeten ab 1982 eine Wende nahm. Und ein Porträt von Matthias Neutzner, dem Mann, der sich seit zwei Jahrzehnten mit den Folgen des Angriffs für die Dresdner Befindlichkeit beschäftigt und der Instrumentalisierung des Gedenkens durch Rechtsradikale entgegenwirkt SEITE 4 und 5

Essay von Christian Semler über „Opfermythos – Gezeitenwechsel im historischen Selbstverständnis der Deutschen?“ These: Die diversen Opfer-Identifikationen werden von ihrem historischen Kontext gereinigt, die Verantwortung des eigenen Landes für die Opfer anderer wird ignoriert. SEITE 6