: Manchmal sind Boxer nett zueinander
Am Samstagabend traten in der Max-Schmeling-Halle zwei Kandidaten für den Weltmeistertitel im Schwergewicht in den Ring. Sie kämpften allerdings nicht gegeneinander, weil ihr Boss das nicht will: Schließlich gehören die beiden zum selben Boxstall
VON MARTIN KRAUSS
Zwei Boxer auf einem Plakat: Beide sind Schwergewichtler, beide boxten am selben Abend in derselben Stadt in derselben Max-Schmeling-Halle, und beide geben vor, bald Weltmeister zu sein. Dennoch kämpften sie nicht gegeneinander. Sinan Samil Sam, so der Name des einen, und Nikolai Valuev, so der Name des anderen Boxers, haben auch in Zukunft nicht vor, im Ring gegeneinander anzutreten. Sie tun es nacheinander: So ging es am Samstagabend vor 4.500 Zuschauern und mittelklassiger Prominenz eher darum, beiden Kämpfern lösbare Aufgaben zu stellen und dem Publikum – für Sam die türkische, für Valuev die russische Community – sportliche Leckereien vorzusetzen.
„Kämpfe von Stallgefährten wollen wir möglichst verhindern“, sagt Wilfried Sauerland, dem der Stall gehört, zu dem wiederum Sam und Valuev gehören. Nikolai Valuev, Körpergröße 2,13 Meter, trat gegen den Schweden Attila Levin an, der mit 1,93 Meter auch nicht wirklich klein ist. Levin, der in Florida lebt, zog sich in den ersten zwei Runden leidlich aus der Affäre: Er pendelte aus und traf mit Mühe auch mal den Kopf des Riesen – aber bewirken konnte er nichts. In der dritten Runde war Schluss mit Levins Tapferkeit. Valuev marschierte nach vorne, Levin musste zurückweichen, der Russe schlug Kombinationen, die zwar gar nicht so perfekt trafen. Aber wenn Valuev seine drei Zentner in einen Schlag legt, dann genügt auch eine ungenaue Platzierung völlig. Dreimal ging Levin zu Boden, dann machte der Ringrichter dem Kampf ein Ende. Wo der Haken war, beschrieb der Geschlagene im Anschluss boxerisch prägnant: „Das Problem war, dass er mich getroffen hat.“
Levin war erst spät als Gegner des russischen Riesen verpflichtet worden. Bis vier Wochen vor dem Kampf galt noch Lawrence Clay-Bey aus den USA als Gegner. Dann disponierte man bei Sauerland um und machte mit Clay-Bey einen Kontrakt für Sinan Samil Sam. „Wir hatten schon einen extra langen Kerl als Sparringspartner verpflichtet“, sagte Clay-Beys Trainer John Scully, „dann mussten wir halt neu planen.“ Clay-Bey verfügt mit seinen 39 Jahren über genügend Erfahrung, um einem Boxer wie Sam, der gerne Weltmeister würde, einen Kampfabend schwer zu machen. Er demonstrierte Sam – Kampfname „Bulle vom Bosporus“ –, wie erfahrene US-Kämpfer boxen: im Infight und aus der Halbdistanz kleine böse Haken schlagen, die einen nicht zu Boden gehen lassen, aber doch sehr ärgern. Sam gewann nach Punkten, aber sein Trainer Ulli Wegner war sauer: „An und für sich boxt Sinan gut, aber immer muss er sich noch einen einfangen.“
Dennoch war Wegner, Cheftrainer im Sauerland-Stall, sicher, dass sich für seine Jungs der Abend gelohnt hat: „Sinan wird Weltmeister.“ Und zwar nicht der einzige Schwergewichtsweltmeister aus seinem Trainingscamp. „In einem Jahr“, wusste Wegner zu prognostizieren, „schlägt kein Mensch mehr auf der Welt den Valuev.“
Wilfried Sauerland fühlt sich derweil als Promoter herausgefordert. „Das Blatt wendet sich“, sagt er zur Situation des Weltboxens. „In fünf Jahren kommt nur noch die Hälfte der Weltmeister aus den USA.“ Um dann herauszufinden, wer der beste Schwergewichtsboxer ist, wird man ihnen wohl nur noch zuhören müssen. So sagt etwa Sinan Samil Sam über Nikolai Valuev: „Man darf ihn nicht auf seine Größe reduzieren.“ Da weiß man alles.